FRIEDRICHSHAFEN. »Schnellboote, Schlauchboote, Schwimmwesten«, schießt Christoph Steinkuhl los. »Elektromotoren, Stand-Up-Boards - wir haben bis dato alles verkauft, was aufs Wasser geht«, sagt der Geschäftsführer des Hamburger Bootsausrüsters A. W. Niemeyer.
»Wir konnten teilweise nicht mehr liefern.« So wie seiner Firma ging es vielen deutschen Herstellern im Corona-Sommer: In der Krise ist die Nachfrage nach Booten und Zubehör enorm gestiegen.
»Nach dem strengen Lockdown bis Ende April haben die Sommermonate den Ausfall vielerorts mehr als wettgemacht«, sagt der Geschäftsführer des Deutschen Boots- und Schiffbau-Verbands, Claus-Ehlert Meyer. Besonders Einsteigerprodukte wie kleine Motorboote seien gefragt, weil deren Fahrer keinen Führerschein benötigen.
»Das sind vor allem Modelle mit einem 15-PS-Motor«, sagt Steinkuhl. Er deutet das als klares Zeichen dafür, dass sich viele Menschen in der Corona-Krise erstmals zu einem Bootskauf entschieden haben. »Viele haben wohl schon lange über einen Kauf nachgedacht und jetzt das Geld vom stornierten Urlaub dafür genutzt«, meint auch Verbandsgeschäftsführer Meyer.
Statt eine Jacht am Mittelmeer zu chartern würden viele Urlauber nun auf ein eigenes Boot in Deutschland setzen, sagt auch Marcus Schlichting von der Bavaria Yachtbau GmbH. »Es sind durchaus viele darunter, die vorher noch kein Boot hatten.« Von Juni bis August habe der Hersteller mit Sitz im bayerischen Giebelstadt rund 70 Prozent mehr Aufträge erhalten als im Vorjahreszeitraum, sagt Schlichting. »Darüber waren wir sehr erstaunt.«
Direkt nach dem Corona-Lockdown und zwei Monaten mit »null Auftragseingang« eine so große Nachfrage zu bedienen, sei nicht leicht gewesen, sagt Schlichting. »Wir konnten zum Glück durchproduzieren, aber bei den Lieferketten mussten wir improvisieren.«
Wegen der hohen Nachfrage und begrenzter Liefermengen habe bei vielen Kunden aber auch der Preis bei Wassersport-Produkten keine große Rolle mehr gespielt, sagt Christoph Steinkuhl. »Die Frage war nicht, was kostet das Stand-Up-Board, sondern: Wann kann ich es haben?« Dabei habe auch der Corona-Trend zum Urlaub im eigenen Land eine Rolle gespielt. A. W. Niemeyer habe dadurch den Umsatz in den vergangenen Monaten um eine hohe, zweistellige Prozentzahl gegenüber dem Vorjahreszeitraum gesteigert, sagt Steinkuhl.
Hersteller und Branchenverband gehen davon aus, dass der Boom bis ins kommende Jahr anhalten könnte. »Die Prognose ist relativ simpel«, sagt Steinkuhl. »Weil wir die Nachfrage dieses Jahr nicht bedienen konnten, gehen wir davon aus, dass es ins nächste überschwappt.« Auch Verbandsgeschäftsführer Meyer betont, die Branche blicke »nicht pessimistisch« aufs kommende Jahr: »Die Neueinsteiger haben den Markt vergrößert.«
Doch nicht alle in der Branche profitieren vom Andrang auf heimische Gewässer. Schwierig sei die Lage wegen der corona-bedingten Reiseeinschränkungen nach wie vor auf dem Charter-Markt, sagt Verbandsgeschäftsführer Meyer. Auch der Verkauf von Seekarten sei »komplett eingebrochen«: Wer auf dem Bodensee schippert, braucht schließlich keine Karte der Karibik oder des Atlantiks.
Einen weiteren Schub erhofft sich die Branche nun von der Wassersport-Messe »Interboot«, die am Samstag in Friedrichshafen am Bodensee beginnt. Das Interesse am Bootfahren ist dort groß: Die Zahl der Prüflinge für das Bodensee-Schifferpatent stieg nach Angaben des Landratsamts bis Anfang September um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. »Der Run hat mit Öffnung der Häfen und Segelschulen Ende Mai begonnen, nachdem die Saison insgesamt etwas verzögert begonnen hatte«, sagt ein Sprecher.
Sollte der Trend anhalten, könnte es im kommenden Jahr eng werden auf dem Bodensee. Die Zahl der dortigen Liegeplätze für Boote sei aber festgelegt, teilt das Landratsamt mit. Die meisten Jachtclubs hätten lange Wartelisten. Doch auch wer so schnell keinen Liegeplatz fürs neue Boot bekommt, soll auf der Messe in Friedrichshafen Hilfe erhalten: Unter Anleitung von Experten können Besucher dort das Manövrieren von Booten auf Autoanhängern üben. (dpa)