»Soziale Medien sind zurzeit populärer als andere Formate. Sie ermöglichen Formen des Austauschs, die andere Formate eben nicht leisten können«, sagt Professor Swaran Sandhu von der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart. Besonders sei, dass es in den sozialen Medien eben eine hohe Spezialisierung gebe. »Da findet der Comic-Fan, der gerade zu Hause sitzt, genauso Angebote, wie der Kunstsammler«, sagt Sandhu.
Jede Plattform hat dabei auch in der Coronakrise ihren eigenen Schwerpunkt. »Instagram setzt auf Selbstinszenierung und Ästhetik«, sagt Sandhu. »Jetzt posten die Influencer eben nicht mehr ihr Essen aus einem Restaurant, sondern von daheim.« So ermöglichten sie ihren Fans einen Einblick in das normale Leben. »Da sieht man dann auch mal, wenn ein Essen nicht so gelungen ist«, sagt Sandhu.
Auf Facebook hingegen finden sich viele Aufrufe für gemeinsame Aktionen während der Coronakrise. Es werden Nachrichten zum Thema geteilt oder Diskussionen geführt – gern auch in großen Gruppen oder auf Nachrichtenseiten.
Hin und wieder werden die Postings aber auch zum öffentlichen Pranger. So finden sich zahlreiche Bilder auf Facebook, auf denen sich Nutzer über vermeintliche Menschenansammlungen in der Öffentlichkeit beschweren – auch wenn nur wenige Personen auf den Bildern zu sehen sind. Unter Postings oder Nachrichtenmeldungen kann die Diskussion dann schon einmal aus dem Ruder laufen. Das zeigt sich auch unter einem Beitrag auf der Facebookseite des Reutlinger General-Anzeigers, in dem über eine Corona-Party in Gomaringen berichtet wird. Darunter Kommentare wie: »Falls ihr Egoisten euch hier befindet und DAS lest: SCHÄMT EUCH!« Ein anderer Nutzer fordert die Einführung eines öffentlichen Prangers, wiederum andere eine Verurteilung und Gefängnis ohne Strafverfahren.
Normal in solchen Zeiten? »Wir haben gerade eine emotionale Ausnahmesituation«, sagt Kommunikationswissenschaftler Sandhu. Bei aus dem Ruder laufenden Diskussionen im Internet fehle das soziale Regulativ: »In der realen Welt würden wir das einem anderen Menschen so nie ins Gesicht sagen«, meint Sandhu. Die öffentliche Anprangerung sei aber auch eine Form der Stressbewältigung. »Die Menschen rückversichern sich damit selbst, nach dem Motto: Ihr macht es falsch, ich mache es richtig«, so Sandhu. Besser als Anprangern sei, das in Posts zu loben, was gut laufe: »Nicht sich darüber aufregen, dass es kein Klopapier mehr gibt und ein leeres Regal posten. Besser ist, den Kassierern in einem Post zu danken, dass sie einen guten Job machen.« Auch das passiert – und so finden sich neben Pranger-Postings unzählige Mut machende Nachrichten online. »Soziale Medien wirken wie ein Brennglas: Sie verstärken das Gute und auch das Schlechte«, sagt Sandhu.
Ob und wie die Coronakrise unsere Nutzung der digitalen Plattformen verändern wird, kann der Forscher noch nicht sagen, jedoch: »Man sieht: Digitalisierung geht dann doch.« Der Kommunikationswissenschaftler beobachtet, dass zurzeit vieles in Schwung kommt, was vorher skeptisch gesehen wurde, wie Homeoffice oder digitale Lernangebote. Eine positive Konsequenz daraus: autofreie Innenstädte und weniger Staus. »Wir müssen uns aber auch fragen, was wir dadurch verlieren.« Zum einen hofft er, dass die Menschen nach der Coronakrise Begegnungen im echten Leben wieder mehr wertschätzen. Zum anderen gibt er auch zu bedenken, dass viele der Plattformen, mit denen wir heute Kontakt zu unseren Liebsten halten, von kommerziellen Interessen getrieben sind. »Facebook, Instagram und Whats-App gehören zu einem großen, US-amerikanischen Konzern«, gibt er zu bedenken. Was als unverzichtbare Infrastruktur erlebt werde, sei eben nicht gemeinnützig, sondern man bezahle mit seinen Daten. Darüber müssten sich Nutzer, aber vor allem die Politik dringend Gedanken machen.
Wer in der aktuellen Situation seine Daten nicht den großen US-Firmen geben will, habe aber Alternativen, sagt Sandhu. Es gebe zum Beispiel zahlreiche Messengerdienste, deren Daten-Sicherheit besser sei als die bei Whats-App. »Und dann gibt es auch noch Telefon und E-Mail.« (GEA)