PALMA. Ein Skandal um sexuellen Missbrauch von Heimkindern erschüttert Mallorca. Auf der Urlaubs- und Partyinsel wurden sie wegen Tatenlosigkeit von Behörden jahrelang zur Prostitution verleitet, wie Sozialarbeiter jetzt beklagen.
Die Affäre löste in Palma und in ganz Spanien Empörung und Entsetzen aus. Die Madrider Zeitung »El Mundo« schrieb am Mittwoch nach auf Aussagen eines 13-jährigen Opfers bei der Polizei in Palma von einem »Abstieg zur Hölle«, von einer »gefährlichen Spirale von Sex und Drogen«.
Die zuständige mallorquinische Sozialbehörde IMAS hatte am Dienstag nach mehreren Anzeigen und Medienberichten eingeräumt, man habe von mehreren Fällen Kenntnis. 16 Heimbewohner - 15 Mädchen und ein Junge - seien den Erkenntnissen zufolge zur Prostitution verleitet worden, bestätigte ein Sprecher der Deutschen Presse-Agentur. Sozialarbeiter, die am Mittwoch von der Zeitung »Diario de Mallorca« zitiert wurden, bezeichneten diese Zahl aber als stark untertrieben.
Sie kritisierten die Behörden scharf. »Seit mehr als drei Jahren zeigen wir diese Zustände an. Aber das IMAS hat keine Maßnahmen ergriffen«, sagte einer der Sozialarbeiter. Es gehe »nicht um einige Dutzend Opfer«, sondern um viele mehr. In manchen Heimen würden nahezu alle minderjährigen Heimbewohnerinnen zur Prostitution verleitet, hieß es.
Betroffen seien vorwiegend 13- bis 17-Jährige. Sie alle haben keine Eltern oder stammen aus sehr schwierigen Verhältnissen - und sind deshalb für Ausbeutung und Manipulation besonders anfällig.
Häufig betätigten sich andere minderjährige Mitbewohner als »Kuppler«, um an kleine Geldbeträge oder an Drogen zu kommen, hieß es. Aber auch Erwachsene sollen nicht nur als Kunden, sondern als Organisatoren in den Skandal verwickelt sein.
Ob ein organisierter Verbrecherring hinter der Ausbeutung steckt ist noch nicht bekannt. Dass Mädchen nicht nur zur Prostitution verführt, sondern auch unter Androhung von Gewalt gezwungen wurden, wird derweil nicht ausgeschlossen.
Die von »Diario de Mallorca« zitierten Experten werfen den Behörden vor diesem Hintergrund eine »absolute Nachlässigkeit« vor. Kritik kommt aber nicht nur von den Sozialarbeitern. Auch Anwälte, die mit Missbrauchsfällen in Heimen zu tun hatten, sagten »El Mundo«, diese Einrichtungen würden in Palma »miserabel verwaltet«. Die Verantwortlichen schauten oft weg, wenn etwa eine 13- oder eine 14-Jährige tagelang aus einem Heim verschwinde.
Nach Beteuerungen des IMAS hat es doch einige wenige Maßnahmen gegeben. In zwei Fällen habe man betroffene Minderjährige zum Beispiel in Heime auf das spanische Festland verlegt, hieß es. Auf Anfrage wollte die Behörde am Mittwoch aber keine weitere Stellungnahme zu den Vorwürfen der Sozialarbeiter abgeben.
Nach Angaben des regionalen Ministeriums für Soziales wurden zudem in den vergangenen drei Jahren fünf Heimmitarbeiter - vier Frauen und ein Mann - wegen »unangemessenen sexuellen Verhaltens« fristlos entlassen. Vier dieser Mitarbeiter seien angezeigt worden, so Ministerin Fina Santiago zur Zeitung »Ultima Hora«.
Dass die Zustände in den insgesamt 30 Kinder- und Jugendheimen auf Mallorca, in denen derzeit 359 Minderjährige untergebracht sind, auch im Vergleich mit anderen spanischen Regionen zum Teil sehr schlimm sind, ist auf der Insel seit Jahren ein offenes Geheimnis. Eine heftige Debatte darüber läuft aber erst seit einigen Tagen. Sie wurde von einer Anzeige wegen einer mutmaßlichen Vergewaltigung einer 13-Jährigen an Heiligabend ausgelöst.
Die Heimbewohnerin in Palma soll am 24. Dezember von mehreren Jugendlichen vergewaltigt worden sein. Sie sagte bei der Polizei aus, sie habe vor der Vergewaltigung mehrere Angebote erhalten, sich zu prostituieren. Bisher wurden im Zusammenhang mit ihrer Anzeige sieben Jugendliche und ein Erwachsener festgenommen.
Auch am sogenannten Ballermann, der Playa de Palma, wo vor allem deutsche Touristen gern Urlaub machen, wurden in den vergangenen Jahren immer wieder minderjährige Prostituierte aufgegriffen. Nach einer Studie des staatlichen Instituts für Gerichtsmedizin und Sicherheit (ICFS) von 2019 hat nur die Nordafrika-Exklave Melilla bei sexuellem Missbrauch in Spanien eine höhere Quote als die Balearen.
Die seit 2015 in Palma regierende sozialistische Regionalpräsidentin Francina Armengol sprach von einem Missstand, den man schon seit Beginn ihrer Amtszeit zu bekämpfen versuche. Zuletzt waren es auf den Inseln 2,8 angezeigte Fälle von sexuellem Missbrauch pro 100.000 Einwohner - Tendenz steigend. (dpa)