BERLIN. Seit Mitte Februar ging es mit der 7-Tage-Inzidenz der Corona-Neuinfektionen bergab - langsam, aber stetig. Nun die Trendumkehr: Seit gut einer Woche steigen die Zahlen wieder.
Am Donnerstag meldete das Robert Koch-Institut (RKI) eine Rekordzahl von 262.752 gemeldeten Fällen binnen 24 Stunden, die Inzidenz kletterte deutlich auf 1388,5. Steht uns eine neue Welle bevor, schon wieder? Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Stehen wir am Beginn einer sechsten Welle?
Ja, sagt der Bioinformatiker Lars Kaderali von der Universität Greifswald. Verantwortlich für den momentanen Anstieg der Inzidenz sei vor allem die Ausbreitung des wohl noch ansteckenderen Omikron-Subtyps BA.2 in Kombination mit den Lockerungen der Schutzmaßnahmen. Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, beschreibt die Entwicklung eher als »Höcker« in der Kurve denn als ausgewachsene neue Welle. Auch der Epidemiologe Hajo Zeeb spricht von einer »nie ganz abgeflauten 5. Welle«. Ungeachtet des Namens ist klar - der Rückgang der Fallzahlen ist vorerst beendet. Eine Überraschung ist die Entwicklung nicht. Einen neuerlichen Anstieg hatten die Modelle eines Forscherteams um Kai Nagel von der Technischen Universität (TU) Berlin schon vor gut zwei Wochen vorhergesagt.
Wieso steigen die Inzidenzen überhaupt wieder?
Die Corona-Regeln sind zuletzt in vielen Bundesländern deutlich gelockert worden. Ein Impfnachweis oder ein aktueller Test ist etwa in Geschäften und Museen nicht mehr nötig, viele Kontaktbeschränkungen sind gefallen. Zudem dürfte der noch ansteckendere Omikron-Subtyp BA.2 in Deutschland mittlerweile verbreiteter sein als sein Vorgänger BA.1. »Gleichzeitig herrscht bei vielen Menschen ein «Corona-ist-vorbei»-Gefühl«, sagt Watzl. Man erlaube sich wieder mehr, treffe sich wieder in größeren Gruppen. »Das macht es dem Virus natürlich leichter, wieder mehr Menschen anzustecken.«
Wie wird sich das Geschehen weiter entwickeln?
In den kommenden Wochen dürfte die Zahlen weiter steigen. »Bei uns im Modell ist der Scheitelpunkt der BA.2-Welle ungefähr Anfang April«, sagt Nagel. Ist der Scheitelpunkt erreicht, werden die Inzidenzen eher langsam sinken und bis in den Sommer hinein auf einem höheren Niveau verharren als im vergangenen Jahr, vermutet Immunologe Watzl. »Einstellige Inzidenzen bekommen wir diesen Sommer nicht.« Im besten Fall gehe es so wie in Dänemark, sagt Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. BA.2 hatte sich dort schon früher ausgebreitet als hierzulande. Dort seien die Zahlen nur recht kurzfristig wieder angestiegen und zeigen seitdem einen deutlichen Abwärtstrend.
Ist die momentane Entwicklung besorgniserregend?
»Wir müssen nicht jede Infektion verhindern«, sagt Watzl. Aus immunologischer Sicht habe das momentane Geschehen auch seine guten Seiten: »Alle, die geimpft sind und jetzt eine Durchbruchinfektion bekommen, sollten im kommenden Winter vergleichsweise gut geschützt sein.« Die größten Gefahren drohen Ungeimpften und immungeschwächten Menschen, die sich entweder nicht impfen lassen können oder bei denen die Impfung nicht gut wirkt. »Diese Leute werden bei hohen Inzidenzen natürlich eher erreicht.«
Wie ist die Lage in den Krankenhäusern?
Trotz der sehr hohen Fallzahlen war die Belastung der Krankenhäuser in der Omikron-Welle bislang deutlich geringer als in früheren Wellen. Denn die Erkrankungen verlaufen überwiegend mild. »In vielen Kliniken ist die Omikron-Welle eher eine organisatorische Herausforderung als eine medizinische«, sagt Watzl. So würden Infektionen häufig auch bei Patienten festgestellt, die wegen ganz anderer Beschwerden ins Krankenhaus gekommen seien. »Diese Patienten müssen dann natürlich trotzdem isoliert werden, auf speziellen Isolierstationen oder in eigenen Zimmern auf den normalen Stationen.« Das bindet Personal und Betten. Und Corona verschont natürlich auch Ärzte und Pflegekräfte nicht - ein hoher Personalausfall kann dann ebenfalls zur Überlastung der Kliniken führen.
Wie sieht es auf den Intensivstationen aus? »Wir haben die Lage (...) mit Blick auf die Versorgung und Behandlung der Covid-Patienten derzeit im Griff«, sagt Gernot Marx, Präsident der Intensivmediziner-Vereinigung Divi. Etwa 2000 Patienten würden momentan wegen eines schweren Verlaufes auf den Intensivstationen behandelt, die Tendenz sei trotz steigender Inzidenzen derzeit fallend. Lockerungen seien, auch saisonal bedingt, mit dem Frühlingsanfang möglich, ohne die Versorgung von Schwerstkranken oder Notfallpatienten zu gefährden. Auch die Modellierer rechnen nicht mit einem neuen Höchstwert bei der Belastung der Intensivstationen oder bei den Todeszahlen. Laut WHO ist bisher beim Subtyp BA.2 keine Zunahme der Krankheitsschwere im Vergleich zu BA.1 beobachtet worden, auch wenn es im Tierversuch Hinweise darauf gegeben hatte.
Was ist nun zu tun?
Trotz der steigenden Inzidenz stehen weitere Lockerungen an: Zum 20. März sollen nach einem Bund-Länder-Beschluss die meisten Corona-Auflagen wegfallen, nur ein »Basisschutz« soll bleiben. Lars Kaderali hält die angekündigten Lockerungen aufgrund der entspannten Lage in den Kliniken für vertretbar. »Man sollte aber nur vorsichtig lockern und nur mit der Option, wieder zurückzugehen, wenn man merkt, dass das zu viel wird.«
Grundsätzliche Schutzmaßnahmen wie Masken in Innenräumen/ÖPNV sind weiter notwendig, sagt Epidemiologe Zeeb. »Es geht auch darum, nicht erneut ältere Menschen in Heimen den Infektionsrisiken auszusetzen, hier muss auf jeden Fall auch weiter getestet werden.« Im privaten Bereich sei hinsichtlich der Schutzmaßnahmen auch gesunder Menschenverstand gefragt, betont Immunologe Watzl. »Es ist ein Unterschied, ob sich junge, gesunde Leute in größerer Gruppe treffen, oder ob ich zur Familienfeier mit Oma und Opa fahre.« (dpa)