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Von Giraffe bis Wiedervereinigung: Fakten und Kurioses zum Grundgesetz

Schon bei der Bezeichnung fängt es an: Warum trägt die deutsche Verfassung nicht auch diesen Namen? Die Geschichte des Grundgesetzes ist ein Spiegel ihrer Zeit. Fakten und Kurioses aus 75 Jahren.

Eine Mitarbeiterin des Parlamentsarchivs des Deutschen Bundestages zeigt eine Seite mit den Unterschriften der Ministerpräsidenten der jeweiligen Bundesländer im Originalbuch des Grundgesetzes, der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Foto: Odd Andersen/dpa
Eine Mitarbeiterin des Parlamentsarchivs des Deutschen Bundestages zeigt eine Seite mit den Unterschriften der Ministerpräsidenten der jeweiligen Bundesländer im Originalbuch des Grundgesetzes, der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland.
Foto: Odd Andersen/dpa

BERLIN. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, verkündet am 23. Mai 1949, Grundpfeiler einer stabilen Demokratie, entstand in unmittelbarer Erinnerung an die Schrecken und Verbrechen des Nationalsozialismus. Doch auch die Erkenntnis, welche Schwächen die erste demokratische Weimarer Verfassung hatte, sowie internationale Ideen für Menschenrechte flossen mit ein. Später diente das Grundgesetz als Vorbild für Staaten, die auch aus einer Diktatur kamen, zum Beispiel Spanien, Portugal, Ungarn und Tschechien. 

Warum »Grundgesetz« und nicht »Verfassung«?

Das Grundgesetz hieß 1949 zwar nicht Verfassung, aber es war eine. Die bescheiden klingende Namensgebung hat mit der deutschen Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Mit Blick auf eine Wiedervereinigung war das Grundgesetz bis zu einer gesamtdeutschen Verfassung als Provisorium gedacht. Es galt allein für die Bundesrepublik Deutschland, die DDR gab sich Ende Mai 1949 eine eigene Verfassung.

Das Grundgesetz hielt von Anfang an zwei Wege zu einer Wiedervereinigung offen: einen Beitritt nach dem damaligen Artikel 23 - oder eine Lösung nach Artikel 146. Danach muss eine neue Verfassung ausgearbeitet und als Referendum angenommen werden. Nach dem Mauerfall verabschiedete die Volkskammer der DDR Ende August 1990 mit großer Mehrheit das Gesetz über den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nach Artikel 23. Seit dem 3. Oktober 1990 gilt das Grundgesetz für ganz Deutschland. 

Was Giraffen mit dem Grundgesetz zu tun haben

Der Parlamentarische Rat, der von September 1948 bis Mai 1949 das Grundgesetz ausarbeitete, begann seine Arbeit an ungewöhnlichem Ort: im Bonner Museum Koenig. Das Hauptgebäude des repräsentativen Naturkundemuseums war im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört worden. Hartnäckig hält sich die Geschichte, dass beim Festakt ausgestopfte Giraffen zu sehen waren. Fotos davon gibt es jedoch nicht. Nach Berichten waren die präparierten Tiere hinter Vorhängen verborgen.

Der Staatsrechtler Carlo Schmid, Mitglied des Rats, schreibt dennoch in seinen Erinnerungen, kaum ein Staatsakt habe wohl in einer derart skurrilen Umgebung stattgefunden - »unter den Bären, Schimpansen, Gorillas und anderen Exemplaren exotischer Tierwelt kamen wir uns ein wenig verloren vor«. Zum Festakt 75 Jahre Parlamentarischer Rat im September 2023 am selben Ort waren die Giraffen zu sehen. 

Nicht nur Väter des Grundgesetzes, auch Mütter

Dem Parlamentarischen Rat gehörten neben 61 Männern nur vier Frauen an. Der Satz »Männer und Frauen sind gleichberechtigt« in Artikel 3 des Grundgesetzes war im Jahr 1949 keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Sensation. Durchgeboxt hat ihn vor allem die Kasseler Juristin Elisabeth Selbert, Mitglied des Rats für die SPD. Der Artikel bedeutete, dass viele Eheregelungen aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 geändert werden mussten.

Die Realität in der jungen Bundesrepublik wurde dennoch lange weiterhin von einem patriarchalischen Eheverständnis geprägt: Der Mann entschied in letzter Instanz. Erst 1957 beschloss der Bundestag das erste Gleichberechtigungsgesetz. Frauen konnten nun beispielsweise auch gegen den Willen ihres Mannes arbeiten, ein Konto eröffnen oder den Führerschein machen. Erst seit 1994 fördert das zweite Gleichberechtigungsgesetz die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Was ewig gelten soll, was geändert werden kann

Die Urschrift des Grundgesetzes ist 1396 Gramm schwer und 35 mal 24 Zentimeter groß. Es gibt Passagen, die nicht geändert werden dürfen. Dazu zählt Artikel 1 mit dem Grundsatz: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Artikel 20 beschreibt unumstößliche Staatsprinzipien wie Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat sowie den Föderalismus.

Eine Änderung des Grundgesetzes an anderen Stellen ist möglich, wenn zwei Drittel des Bundestages sowie zwei Drittel des Bundesrates zustimmen. Durch solche Änderungen hat sich die Zahl der Vorgaben bis Ende 2023 von 146 auf 202 erhöht. Dennoch endet das Grundgesetz wie bereits 1949 mit Artikel 146, denn alle Ergänzungen wurden in Absätzen und nicht als neue Artikel eingefügt.

Eine wichtige Änderung des Grundgesetzes wurde 1994 im Artikel 3 festgelegt: »Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.« Grundrechte sind seit 1949 aber auch durch Ergänzungen eingeschränkt worden, zum Beispiel 1993 das Asylrecht für politisch Verfolgte in Artikel 16a. (dpa)