LONDON. Auch wenn die Nachrichten aus Brüssel einen euphorischen Unterton haben: Vorsicht ist angesagt. Die EU hat mit Großbritannien einen »neuen Deal« ausgehandelt, wie ihn Premierminister Boris Johnson nennt. Tatsächlich ist es zu großen Teilen der alte Austrittsvertrag plus eine umformulierte politische Erklärung, die dem Vereinten Königreich mehr Gestaltungsfreiheit in seiner künftigen Handelspolitik ermöglichen soll. Die Euphorie war auch beim letzten Mal sehr stark, als Theresa May im Winter letzten Jahres ihren Brexit-Deal feierte. Und wie es dem erging, ist sattsam bekannt: Drei Mal wurde er niedergestimmt.
Und wieder ist der große Stolperstein das britische Parlament, das den Deal ratifizieren muss. Die Mehrheitsverhältnisse sehen katastrophal für Johnson aus, nachdem er eine Reihe von Kollegen aus der Regierungsfraktion ausgeschlossen hatte, als die sich gegen seinen harten Brexit-Kurs stemmten. Der Premierminister hofft jetzt aber, dass die geschassten Konservativen immer noch konservativ denken und für seinen Deal stimmen, denn den Austritt aus der EU wollen die meisten der Rebellen auch. Zusätzlich spekuliert Johnson darauf, dass eine Handvoll von Oppositionspolitikern, deren Wähler mehrheitlich für den Brexit stimmten, ebenfalls auf seine Seite wechseln. Er mag scharf kalkuliert haben, doch nur eines ist sicher: Am Samstag, wenn es zur entscheidenden Abstimmung im Unterhaus kommt, wird es sehr, sehr eng.
Vielleicht klappt es diesmal, weil die Angst vor einem No Deal, einem ungeregelten Austritt aus der EU mit all seinen katastrophalen wirtschaftlichen und politischen Folgen, so groß ist. Es wäre schlimm, wenn das Parlament wieder einmal unter Beweis stellen würde, dass es sich allein darüber einig werden kann, was es nicht will, nämlich einen No Deal. Es muss sich endlich zu einer gemeinsamen Position durchringen, wie das leidige Brexit-Drama zu einem Abschluss gebracht werden kann. (GEA)