Einmal läutet die Polizei Sturm bei der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Der Grund: Nächtlicher Lärm in ihrer Wohnung, die Nachbarn hätten sich beschwert. Erst versteht die Dichterin nicht, was für ein Lärm gemeint sein soll. Bis es ihr schwant: Es geht um Schreibmaschinengeklapper.
Sie könne nur nachts arbeiten, erklärt sie den Beamten. Was denn ihr Beruf sei, fragen die, und Bachmann erklärt. Sie schreibt Gedichte. Die Polizei reagiert mit Kopfschütteln: »So kleine Gedichte und so viel Lärm!«
So zumindest erinnert sich Bachmanns Freund Uwe Johnson in einer Erzählung an eine Episode aus dem Alltag Ingeborg Bachmanns in Rom. 50 Jahre ist es nun her, dass sie gestorben ist. Ja, Ingeborg Bachmann (1926-1973) schrieb Gedichte. Und Erzählungen, Hörspiele, Essays und einen Roman. Ihre Texte gehören heute zur wichtigsten Literatur des 20. Jahrhunderts.
Noch immer lohnt es sich, Bachmann zu lesen. Die Österreicherin thematisierte die Schwierigkeit, sich als Frau in vielen Bereichen unserer männlich geprägten Gesellschaft zu behaupten. Sie erzählt von den Auswirkungen, die der Krieg auf Menschen hat. Und von den Hoffnungen, der Angst und der Erfüllung, die in der Liebe liegen.
Bachmann als Literaturstar
Mit ihren feministischen Texten war Bachmann eine Vorreiterin. Manches, etwa ihr Roman »Malina« von 1971, wäre noch bahnbrechend, würde es heute erscheinen. »Lärm« machten ihre Gedichte schon damals. Allerdings in ganz anderer Hinsicht - sie wurde damit sehr berühmt. Bachmann war 1954 die erste Lyrikerin auf dem Cover des »Spiegel«. Danach wurde sie zum Literaturstar, erhielt Preise, dozierte an der Universität.
Aus ihren Briefen und mehreren Biografien ist zu erahnen: Bachmann war ein Mensch voller Widersprüche. Die Autorin, die über den Philosophen Martin Heidegger promovierte, vertiefte sich gerne in intellektuelle Fragen, war als Kettenraucherin bekannt. Gleichzeitig mochte sie das Nachtleben, Tanzen, elegante Kleider. Mit vielen berühmten Leuten war sie befreundet. Zum Beispiel mit Hans Magnus Enzensberger, der einmal mit der Autorin Ina Hartwig über Bachmann sprach. In ihrer Biografie resümiert sie das Gespräch und zitiert: »Als Gesamteindruck bleibt dies: «Ingeborg Bachmann in Paillettenkleidern.»«
Gesellschaftliche und zwischenmenschliche Gewalt
Der Kontrast zu ihren Texten könnte nicht größer sein. Sie handeln von politischer und zwischenmenschlicher Gewalt. Lange, bevor es Thema in Österreich wurde, thematisierte sie das Fortwirken des Faschismus nach dem Kriegsende. »Malina« handelt davon. Ein weibliches Ich versucht darin, zum Sprechen zu kommen – und muss dafür in einer Art Traumatherapie schreckliche, vom Krieg und Patriarchat geprägte Alpträume durchleben.
Geboren wurde Bachmann in Klagenfurt. Im Alter von 17 lebte sie mitten im Zweiten Weltkrieg ganz allein in ihrem Elternhaus. Bachmanns Mutter war mit den beiden jüngeren Geschwistern 1944 aufs Land gezogen. Bachmann blieb zurück, um ihre Matura abzulegen.
Bei einem Bombenangriff sterben ihre Nachbarn. Sie entscheidet sich, künftig nicht mehr in den Bunker zu gehen. »Der Gedanke, dort womöglich mit allen wie in einer Viehherde zugrundezugehen, ist mir schauerlich. Wenigstens im Garten. Wenigstens in der Sonne«, schreibt sie in ihrem »Kriegstagebuch«.
Auf der Suche nach der Sprache und der Liebe
Nach 1945 ist die deutsche Sprache die der Täter. Wie andere Schriftsteller sucht Bachmann nach Wegen, das zu reflektieren und sich ihre Muttersprache neu anzueignen. Ihr Bruder Heinz Bachmann sagt der dpa: »Eines der wichtigen Zitate meiner Schwester war: Keine neue Welt ohne neue Sprache. Das ist immer noch unglaublich aktuell.«
Sprache schafft Wirklichkeit: Das ist heute ein gängiges Argument von Menschen, die sich für geschlechtergerechte Sprache einsetzen. Bachmann vertrat es schon vor über einem halben Jahrhundert. Was würde sie wohl von entsprechenden Diskussionen halten, etwa, dass bestimmte heute als problematisch geltende Wörter in alten Werken geändert werden? Ihr Bruder sagt: »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich würde sie das als positiv empfinden. Eben weil sie gedrängt hat, dass sich die Sprache verändern muss, damit unsere Beziehungen sich bessern. Das war ihr ein wichtiges Anliegen.«
Und tatsächlich ergründete Bachmann neue Wege, zu erzählen. Losgelöst von erzählerischen Konventionen fand sie eine ganz eigene Sprachmelodie: musikalisch, die Wörter manchmal hastend aneinander reihend, wie auf der Suche nach der richtigen Formulierung. In ihren Gedichten schuf sie beispiellose Bilder. »Dein Hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im Wind, dein unbedeckter Kopf hat's Wolken angetan, dein Herz hat anderswo zu tun, dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein«, beginnt etwa ihr Gedicht »Erklär mir, Liebe«.
Beziehungen mit Paul Celan und Max Frisch
Den von Gewalt bestimmten Erinnerungen setzte Bachmann in ihren Texten utopische Ideen von Liebe und Freiheit entgegen. Diese verfolgte sie auch im echten Leben. Bachmann war nicht nur mit dem Dichter Paul Celan, sondern auch dem Schriftsteller Max Frisch liiert. Beide Beziehungen, das zeigen die Briefwechsel, endeten nicht gut. Frisch, der als extrem eifersüchtig galt, konnte mit der freiheitsliebenden Art seiner Partnerin nichts anfangen. Nach der Trennung verarbeitete er Details ihrer Beziehung in seinen Werken, was Bachmann als Verrat empfand. Von der Erschütterung, die die Trennung in ihr auslöst, erzählt auch Margarethe von Trottas Film »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste«, der am 19. Oktober in die Kinos kommt.
Zwischendurch war die Schriftstellerin abhängig von Alkohol und Beruhigungstabletten geworden. Die Tabletten sind so stark, dass sie eines Tages mutmaßlich mit brennender Zigarette einschläft. Mit schweren Brandverletzungen kommt sie ins Krankenhaus und stirbt dort einige Tage später.
Bachmann wird heute oft als kapriziöse, düstere Autorin interpretiert. Für ihren 13 Jahre jüngeren Bruder, der ein enges Verhältnis zu ihr hatte, trifft es das nicht. Woran erinnert er sich heute? »Es ist das Fröhliche, das Geschichtenerzählen, ihr Lachen, das mir geblieben ist und immer bleiben wird.«
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