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Roger Daltrey: »Jede Show könnte die letzte sein«

Erstmals nach sieben Jahren treten The Who wieder in Deutschland auf. Im Juni spielen sie in Berlin mit einem Orchester. Das Konzert auf der Waldbühne könnte für die Rockurgesteine das letzte in Deutschland werden.

The Who
Sänger Roger Daltrey (r) und Gitarrist Pete Townshend von The Who kommen nach Deutschland. Foto: Rick Guest
Sänger Roger Daltrey (r) und Gitarrist Pete Townshend von The Who kommen nach Deutschland.
Foto: Rick Guest

Noch sind The Who zwar nicht auf Abschiedstour. Sänger Roger Daltrey (79) und Gitarrist Pete Townshend (77) planen auch noch nicht für die Rente. Doch Daltrey kann nicht ausschließen, dass ihr bevorstehendes Konzert in Berlin der letzte Auftritt in Deutschland für The Who sein wird. »Mit 79 Jahren muss ich realistisch bleiben«, sagt der Frontmann im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur in London und lacht. »Jede Show könnte die letzte sein.«

Am 20. Juni treten The Who im Rahmen ihrer »The Who Hits Back!«-Tour auf der Berliner Waldbühne mit ihren größten Hits auf. Das Besondere: Wenn die Band unsterbliche Rockklassiker wie »Pinball Wizard«, »Who Are You« oder das legendäre »Baba O'Riley« spielt, wird sie vom Filmorchester Babelsberg begleitet. »Es hat etwas Magisches, wenn das Orchester diesen vollen The-Who-Sound spielt«, schwärmt Daltrey. »Das hat auf magische Art etwas Bewegendes, wie es kein Synthesizer je könnte.«

Jeden Abend mit einem anderen Orchester

Bereits im Sommer 2019 traten The Who im Londoner Wembley-Stadion mit einem knapp 60-köpfigen Orchester auf. Das spektakuläre Konzert wurde vor kurzem als Live-Album veröffentlicht. Die jetzt beginnende Europa-Tournee, auf der die Band jeden Abend von einem anderen Orchester begleitet wird, hatte eigentlich schon kurz nach dem Wembley-Konzert folgen sollen, doch dann kam die Pandemie.

Dafür, dass The Who seit sieben Jahren nicht mehr in Deutschland aufgetreten sind, hat Daltrey aber keine Erklärung. »Ich weiß nicht, warum wir so lange weg waren«, sagt er und lacht. »Da musst du die Konzertveranstalter fragen. Vielleicht haben wir in Deutschland kein Publikum?« Umso mehr freut sich der Sänger, der bei den Shows immer noch sein Mikrofon durch die Luft schleudert, auf das Comeback.

Nach der ausgedehnten US-Tournee im Vorjahr freut sich Daltrey wieder auf die Zusammenarbeit mit den vielen klassisch trainierten Musikern. Beim kurzen Soundcheck blicke er meist noch in skeptische Gesichter. »Aber nach der Hälfte der Show drehe ich mich um und sehe, wie sie auf einmal lächeln und richtig auf den Geschmack der Musik kommen«, so der 79-Jährige. »Und am Ende des Konzerts strahlen sie übers ganze Gesicht und rocken. Es ist wundervoll diese Veränderung zu sehen. Sie haben wirklich Spaß und darum geht es.«

»Ich habe keine Angst vor dem Ende«

Fast 60 Jahre ist es her, dass The Who im Swinging London gegründet wurden. Von der Ur-Besetzung ist Daltrey neben Gitarrist und Songwriter Townshend der einzige Überlebende. »Wir versuchen so fit zu bleiben, wie wir sind«, sagt er. »Mir ist schon bewusst, dass wir alle sterblich sind. Aber ich habe keine Angst vor dem Ende.«

Bassist John Entwistle starb 2002, Kultschlagzeuger Keith Moon schon 1978. Seit mittlerweile rund 25 Jahren trommelt Zak Starkey (57), Sohn von Beatles-Drummer Ringo Starr, für The Who. »Er hat in seinem Schlagzeugspiel eine große Ähnlichkeit zu Keith«, findet Daltrey. »Es ist nicht dasselbe, aber es knotet uns musikalisch zusammen, das ist wundervoll.« Witzig: Moon war einst Babysitter für den kleinen Zak.

Mittlerweile ist auch Pete Townshends Bruder Simon Townshend als Gitarrist und Background-Sänger ein wichtiger Bestandteil von The Who. »Es ist diese geschwisterliche Verbindung. Wenn er und Pete zusammen singen, ist es, als würde man den Everly Brothers zuhören«, schwärmt Daltrey, der den deutlich jüngeren Townshend-Bruder (62) auch für seine Soloband engagierte. »Wir hätten niemanden Besseres als Simon finden können. Seine Stimme bringt eine Qualität in unsere Harmonien, die Pete in seiner Stimme verloren hat. Das können wir ersetzen, weil Simon sehr ähnlich klingt wie der junge Pete.«

Es könnte ein magischer Konzertabend werden

Seine eigene Stimme hat sich Roger Daltrey mit 79 Jahren erstaunlich gut bewahrt. Allerdings musste der Sänger nach dem Wembley-Konzert professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. »Ich hatte eine Krankheit, von der ich gar nicht wusste, dass ich sie hatte«, erzählt er. »Ich glaube, in den 1990er und frühen 2000er-Jahren hab ich nicht besonders gut gesungen.« Eine Lasertherapie in den USA schuf Abhilfe.

Trotz seines Alters denkt Roger Daltrey nicht ans Aufhören. Mit einem weiteren Album ist nach »WHO« (2019) zwar nicht unbedingt zu rechnen, denn »keiner kauft es«, sagt er. »Das letzte hat mich sogar Geld gekostet.« Aber der Frontmann hofft auf weitere Tourneen. »Ich fühle mich nie so sehr am Leben, wie wenn ich auf der Bühne singe und diese Verbindung mit dem Publikum habe. Ich genieße jede Sekunde.«

Wenn sich The Who in Berlin so präsentieren wie in Wembley oder zuletzt auf ihrer Nordamerika-Tournee, dürfte es ein wunderbarer Abend auf der Waldbühne werden. »Wir können nie wieder sein, was wir in den 70er Jahren waren. Der Glamour ist verschwunden«, räumt Daltrey ein. »Aber wenn du unsere Musik magst, dann wirst du unsere Musik auf eine Weise hören, die dich wirklich berührt. Und du wirst mit einer Menge Erinnerungen vom Konzert nach Hause gehen.«

© dpa-infocom, dpa:230521-99-768419/3