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Aktivismus bis Zauberberg: Das Kulturjahr 2024

Berlinale-Eklat, diverse Comebacks und viele Jubiläen - das Jahr hatte für die Kulturwelt einiges an Gesprächsstoff zu bieten.

Taylor Swift »Eras Tour« - Mailand
Taylor Swift spielte dieses Jahr die erfolgreichste Tournee der Geschichte. Foto: Claudio Furlan/DPA
Taylor Swift spielte dieses Jahr die erfolgreichste Tournee der Geschichte.
Foto: Claudio Furlan/DPA

Es war das Jahr, in dem die Südkoreanerin Han Kang den Literaturnobelpreis gewann, Pedro Almodóvar in Venedig beim Filmfestival den Hauptpreis holte (»The Room Next Door«) und Demi Moore grandios entstellt ein faszinierendes Horror-Comeback gelang (»The Substance«). 

Sängerin Adele gastierte wochenlang in München, Helene Fischer brachte ein Kinderlieder-Album heraus und Céline Dion triumphierte nach schwerer Krankheit bei der Olympia-Eröffnung mit der »Hymne A L'Amour« von Édith Piaf.

Bad Ischl und das Salzkammergut waren eine Kulturhauptstadt Europas und der legendäre Suhrkamp-Verlag bekam einen neuen Alleineigentümer. Außerdem war die Kulturwelt global wie selten zuvor von einem Krieg polarisiert, viele glaubten, sich für oder gegen Israel stellen zu müssen.

Was waren noch große Gesprächsthemen in der Kulturwelt? Eine Auswahl:

A wie Aktivistinnen bewerfen »Mona Lisa« mit Suppe 

Ein Tortenwurf, ein Stein, Säure: Die »Mona Lisa« im Pariser Louvre hat schon so einige Angriffe überstanden. Anfang des Jahres schütteten zwei Aktivistinnen Suppe auf das weltberühmte Bild von Leonardo da Vinci. Angriffe auf Kunstwerke sind inzwischen ein beliebtes Mittel von Aktivisten, um auf die Klimakatastrophe aufmerksam zu machen. Die Mona Lisa überstand das aber unbeschadet – sie ist mit Panzerglas geschützt.

B wie »Bauch, Beine, Po«

»Du willst einen Body? Dann musst du pushen! Bist du ein Hottie, werden sie gucken« - Shirin David gelang der Sommerhit des Jahres mit »Bauch Beine Po«. Es ist Davids siebter Nummer-eins-Hit, was kein anderer weiblicher Solo-Act vor ihr geschafft hat. Die Meinungen gehen auseinander, ob es sich um die ungebrochene Verherrlichung eines trainierten schlanken Körpers handelt oder kluge Ironie.

C wie Charli XCX

Die Popentdeckung des Jahres heißt Charli XCX. Die Britin hat mit ihrem gehypten Elektropop-Album »Brat« das Lebensgefühl vieler Leute auf den Punkt gebracht. Im Englischen ist »Brat« eine Bezeichnung für eine Frau, die macht, was sie will und sich an keine Regeln hält. Das Internet rief den »Brat Girl Summer« aus. 

D wie Deutscher Buchpreis

Der ging dieses Jahr an Monika Hefters Buch »Hey guten Morgen, wie geht es dir?«. Mitbewerber Clemens Meyer war daraufhin so sauer, dass er laut fluchend den Saal verließ. »Ich habe gerufen, es sei eine Schande für die Literatur, dass mein Buch den Preis nicht bekommen hat«, sagte er dem »Spiegel«. Er hätte den Preis und die damit verbundene Finanzspritze dringend gebraucht, weil er seine Scheidung finanzieren müsse. 

E wie Eklat bei der Berlinale 

2024 markiert das Jahr, in dem der deutsche Kulturbetrieb auf dramatische Weise politisiert wurde. Seit dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 positionieren sich viele internationale Künstler zum Nahostkonflikt. Anders als in Deutschland dominiert dabei die Solidarität mit der palästinensischen Seite. Das führte bei Kulturevents schon öfter zu Debatten und bei der Preisverleihung der Berlinale zu einem Eklat. Filmschaffende äußerten auf der Bühne einseitig Kritik an Israel, sprachen von Genozid mit Blick auf das Vorgehen der Armee in Gaza – und anschließend gab es Applaus, aber keinen Widerspruch. Eine emotionale Debatte entbrannte.

F wie Friedrich, Caspar David

Noch nie war er so allgegenwärtig wie im Jahr seines 250. Geburtstags. Die Leere und Schwere seiner Landschaften machen Caspar David Friedrich zur Ikone deutscher Innerlichkeit und Weltabgewandtheit. »Wir lieben ihn wie wir Dracula lieben - weil er uns erschaudern lässt«, schrieb der britische »Guardian« über diesen deutschesten aller Maler. Doch sein heutiger Erfolg als Liebling der Massen beruht wohl auch auf einem das Nationale weit übersteigenden Aspekt: Seine Bilder zeigen nicht nur die Schönheit, sondern auch die Übermacht der Natur. 

H wie Hollywood for Harris

Wird der Einfluss von Pop- und Filmstars generell überschätzt? Die demokratische Präsidentschaftsbewerberin Kamala Harris konnte sich im Wahlkampf der Unterstützung fast aller US-Celebrities sicher sein. Angefangen von Taylor Swift, dem derzeit größten Namen der Musikszene überhaupt, über Hollywood-Ikonen wie George Clooney, Julia Roberts, Sharon Stone und Jennifer Aniston. Aber genutzt hat es nichts. War es vielleicht sogar kontraproduktiv? Stars wirken oft abgehoben und elitär, und genau das war einer der wichtigsten Einwände gegen die Demokraten. 

I wie irische Schauspieler

Auffallend häufig begeisterten dieses Jahr Iren die Filmwelt, etwa Paul Mescal (»Gladiator II«, »All of Us Strangers«), Andrew Scott (»All of Us Strangers«, »Ripley«) oder Barry Keoghan (»Saltburn«). Andererseits sind global auch nach wie Männer anderer Nationalität gefragte Stars, etwa der amerikanisch-französische Schauspieler Timothée Chalamet (»Dune: Part Two«), Australier wie Jacob Elordi und Hugh Jackman (»Deadpool & Wolverine«), Amerikaner wie Glen Powell (»Wo die Lüge hinfällt«, »A Killer Romance«, »Twisters«) oder Briten wie Josh O'Connor (»Challengers – Rivalen«).

K wie Kafka-Jahr

»Als Gregor Samsa eines morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.« Niemand hat bessere erste Sätze geschrieben als Franz Kafka, wie etwa hier in der Erzählung »Die Verwandlung«. Das Kafka-Jahr 2024 zeigte, dass der Schriftsteller ein Jahrhundert nach seinem frühen Tod geradezu erschütternd aktuell und relevant ist. Man denke nur an den Tod des Kremlgegners Alexej Nawalny in einem sibirischen Straflager, die Parallelen zu Kafkas Werk »Der Prozess« drängen sich geradezu auf. 

O wie Oscars

Erstmals seit Luise Rainer vor 86 Jahren war wieder eine deutsche Schauspielerin als beste Hauptdarstellerin nominiert. Auch wenn Sandra Hüller nicht für »Anatomie eines Falls« ausgezeichnet wurde: Sie brillierte auch in »The Zone of Interest« des britischen Regisseurs Jonathan Glazer, der den Preis als bester internationaler Film bekam. Glazer zeigt mehr als hundert Minuten lang das Privatleben des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß und seiner Frau Hedwig, die unmittelbar neben dem Vernichtungslager eine Familienidylle aufzubauen versuchen. Das Morden hinter der Gartenmauer wird nur über Geräusche angedeutet.

P wie Paris

Leonardo da Vincis »Letztes Abendmahl« wurde bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris mit Dragqueens, einem Transgender-Model und einem fast nackten Sänger dargestellt - jedenfalls in den Augen vieler Zuschauer. Dies rief die katholische Kirche auf den Plan: »Das queere Abendmahl war ein Tiefpunkt«, bemängelte etwa der Passauer Bischof. Der Regisseur der Eröffnungsfeier, Thomas Jolly, stellte daraufhin klar, bei der Szene habe es sich gar nicht um eine Anspielung auf das »Letzte Abendmahl« gehandelt, sondern um einen Verweis auf »Das Festmahl der Götter« des niederländischen Malers Jan van Bijlert. 

R wie Rhabarberbar

Bodo Wartke aus Berlin landete im Frühjahr auf den Plattformen Tiktok und Instagram mit dem Zungenbrecher-Rap »Barbaras Rhabarberbar« einen Welthit. Ein Video von ihm und Musiker-Kollege Marti Fischer wurde Millionen Mal wiedergegeben. »Bei dem Song spürt man - ob man Deutsch nun versteht oder nicht - dass wir Freude an der Sache haben und diese auch jenseits von Sprache übertragen«, sagt Wartke über den internationalen Erfolg.

S wie »Sancta«

Florentina Holzinger landete mit der blutigen Opernperformance »Sancta« in Stuttgart den Bühnenskandal des Jahres. Bei den ersten beiden Aufführungen klagte ein Besucher über Übelkeit, in drei Fällen wurden Ärzte hinzugezogen. Zu sehen waren etwa explizite sexuelle Handlungen, Darstellungen sexueller Gewalt, echtes Blut, Piercingvorgänge und eine Verwundung. Die Staatsoper hatte vorab gewarnt, aber für einige Zuschauer war es dann doch zu heftig. »Wer sich das nicht anschauen will, bleibt bitte weg«, mahnte der baden-württembergische Kunststaatssekretär Arne Braun (Grüne). 

T wie Taylor Swift

Die kommerziell erfolgreichste Musiktour jemals, die meist-gestreamte Musik innerhalb eines Tages bei Spotify, die erste Künstlerin, die mit Hilfe ihrer Musik Milliardärin wurde: 2024 hat US-Superstar Taylor Swift wieder zahlreiche Rekorde geknackt. Mit ihrer »Eras Tour« wurde sie dieses Jahr zum Pop-Gesprächsthema Nummer eins und begeisterte auch in Deutschland bei ihren Konzerten Hunderttausende Fans. Fans aus Wien warten unterdessen darauf, dass die 34-Jährige zurück in ihre Stadt kommt - nachdem diesen Sommer drei Konzerte dort wegen Terrorgefahr abgesagt wurden.

U wie Udos Sonderzug

Mehrere Chöre in Berlin wollten in Udo Lindenbergs »Sonderzug nach Pankow« das Wort »Oberindianer« streichen, weil es aus heutiger Sicht diskriminierend sei. Stattdessen wollte man »Oberiiiii« singen. Die Ankündigung entfachte einen Proteststurm, es hagelte Vorwürfe wie »Zensur«, »Sprachpolizei«. Am Ende wurde das Lied von 1983 dann doch unverändert im Humboldt-Forum dargebracht. 

V wie »Völlig losgelöst«

Peter Schillings »Major Tom (Völlig losgelöst)« wurde vom DFB zur Torhymne erkoren und brachte dem 80er-Jahre- und Neue-Deutsche-Welle-Hit rund um die EM einen zweiten Frühling. Dass alte Songs nach Jahrzehnten wieder in den Charts landen können, kann auch an Serien oder Filmen liegen, in denen sie prominent vorkommen. Das passierte dieses Jahr etwa »Murder on the Dancefloor« von Sophie Ellis-Bextor wegen einer Nacktszene in Emerald Fennells Thriller »Saltburn«.

Z wie Zauberberg

Der Bildungsroman »Der Zauberberg« von Thomas Mann wurde 100 Jahre alt. Auf nahezu 1000 Seiten geht es um vordergründig fast nichts: Der Hamburger Kaufmannssohn Hans Castorp reist zu einem lungenkranken Verwandten in ein Hochgebirgssanatorium, eigentlich nur für drei Wochen. Doch daraus werden sieben Jahre in Davos. Das Aufregendste ist ein One-Night-Stand mit der Russin Clawdia Chauchat, der aber auch nur angedeutet wird, vielleicht gar nicht stattfand. Gleichwohl zieht der Roman bis heute in seinen Bann. Wenn jemand nur noch Zeit hätte, ein einziges deutschsprachiges Buch zu lesen, welches sollte das sein, wurde der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki einmal gefragt. Seine Antwort: »Der Zauberberg.«

© dpa-infocom, dpa:241202-930-305155/1