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Aktuell Entdeckung

Mittelalterliche Spielesammlung bei Lichtenstein ausgegraben

Ein archäologisches Team findet eine seltene Schachfigur bei Grabungen am Burgstein auf Gemarkung Lichtenstein. Die gefundene Spielesammlung aus dem Mittelalter ist einzigartig.

Bei archäologischen Grabungen 2022 am Burgstein wurden neben einer Schachfigur vier blütenförmige Spielsteine gefunden, außerdem
Bei archäologischen Grabungen am Burgstein wurden neben einer Schachfigur vier blütenförmige Spielsteine gefunden, außerdem ein Würfel mit sechs Augen. Die Figuren wurden aus Geweih geschnitzt. Foto: Brigola/Universität Tübingen
Bei archäologischen Grabungen am Burgstein wurden neben einer Schachfigur vier blütenförmige Spielsteine gefunden, außerdem ein Würfel mit sechs Augen. Die Figuren wurden aus Geweih geschnitzt.
Foto: Brigola/Universität Tübingen

LICHTENSTEIN/PFULLINGEN. Ein archäologisches Team hat am Burgstein eine fast 1.000 Jahre alte Spielesammlung samt gut erhaltener Schachfigur, Spielsteinen und Würfel entdeckt. Das geht aus einer gemeinsamen Pressemitteilung der Universität Tübingen, des Landesamts für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart und der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts hervor.

Vor mehr als 1.000 Jahren fand das Schachspiel seinen Weg aus dem Orient nach Europa. Schachfiguren aus der Frühzeit des Spiels sind sehr selten. Bei archäologischen Grabungen auf einer in Vergessenheit geratenen Burg wurde nun eine hervorragend erhaltene Springerfigur entdeckt.

Eine Partei spielte mit Rot

Der Fund ist Teil einer einzigartigen Spielesammlung, zu der auch Spielsteine und ein Würfel gehören. Ein internationales Team von Expertinnen und Experten der Universität Tübingen, des Landesamtes für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart und des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) untersucht nun diese Zeugnisse früher Spielkultur. Laboranalysen von Farbresten zeigen, dass eine der Parteien mit Rot gespielt hat. Typische Nutzungsspuren weisen darauf hin, dass der Springer schon damals beim Zug angehoben wurde. Dies verweist auf eine erstaunliche Kontinuität der Spielregeln.

AUSSTELLUNG IM SCHLÖSSLE

Die Funde werden allen Interessierten in der Großen Landesausstellung »THE hidden LÄND« präsentiert, die vom 13. September an in Stuttgart zu sehen ist. Erstmals gezeigt werden sie in der Sonderausstellung »Ausgegraben! Ritter und Burgen im Echaztal«, die im Rahmen des »Living History«-Events am Samstag, 15. Juni, im Museum im Schlössle in Pfullingen zu sehen sein wird. Ein 3D-Modell der Schachfigur, des Würfels und eines Spielsteins ist schon jetzt online zugänglich. (eg) https://skfb.ly/oTxGo

Gut erhaltene archäologische Funde von Schachfiguren und Spielsteinen für andere Brettspiele aus der Zeit vor dem 13. Jahrhundert sind in Mitteleuropa sehr selten. »Das Schachspiel zählte im Mittelalter zu den sieben Fähigkeiten, die ein guter Ritter beherrschen sollte. Insofern verwundert es nicht, dass bekannte Funde meist von Burganlagen stammen«, erklärte Dr. Jonathan Scheschkewitz (LAD). »Die Entdeckung einer ganzen Spielesammlung des 11./12. Jahrhunderts kam für uns völlig überraschend, und die Pferdefigur ist ein echtes Highlight«, sagt Dr. Lukas Werther (DAI).

Figuren und Würfel aus Geweih geschnitzt

Entdeckt wurden die Funde bei Grabungen des Sonderforschungsbereichs der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) 1070 RessourcenKulturen und des LAD am Burgstein. »Sie lagen unter dem Schutt einer Mauer, wo sie im Mittelalter verloren oder versteckt wurden«, sagt Dr. Michael Kienzle von der Universität Tübingen. Die Überdeckung trug dazu bei, dass die Oberflächen der Funde außergewöhnlich gut erhalten sind. »Unter dem Mikroskop zeigt sich ein typischer Glanz vom Halten und Bewegen der Stücke«, erklärt Dr. Flavia Venditti (Universität Tübingen). Neben der Schachfigur wurden vier blütenförmige Spielsteine gefunden, außerdem ein Würfel mit sechs Augen. Sie wurden aus Geweih geschnitzt. Augen und Mähne der vier Zentimeter hohen Pferdefigur sind plastisch ausgeformt. Diese aufwendige Gestaltung ist typisch für besonders hochwertige Schachfiguren dieser Zeit. Die an den Spielsteinen nachgewiesenen Farbreste werden aktuell chemisch analysiert.

Von der detaillierten Auswertung der Funde erhoffen sich die Forschenden Einblicke in die Spielewelt des mittelalterlichen Adels und die Wurzeln des europäischen Schachspiels. (eg)