Haben Sie schon mal so ein merkwürdiges WM-Gefühl erlebt? Kein Knistern. Keine Vorfreude. Keine Euphorie. Alleine dafür sollte man die Scheinchenzähler der FIFA für eine Sisyphos-Ewigkeit ans Kopfballpendel zwingen, gefüllt mit quarzigem Wüstensand. Einfach jammerschade, ein globales Freudenfest so zu zertrümmern.
Auch für uns als Journalisten ein Dilemma: Wie umgehen mit einer WM in Katar, die schon bei der Vergabe unheilbar vermurkst worden war, die jetzt schon zwölf Jahre zurückliegt? In einer aufgehitzten Atmosphäre und inmitten der Last-Minute-Empörung vor dem ersten Anstoß, die leider viel zu spät kommt. Und – ganz ehrlich: auch mit viel biegsamer Anbiederei und kriecherischer Heuchelei. Was im Dezember 2010 geschah, als die FIFA das großartige Spiel verriet, hätte einfach nicht passieren dürfen. Das lese ich auch in vielen Mails nach unseren GEA-Artikeln und meinem letzten Kommentar. Das ist gut so!
Einige Leser fragen uns, ob wir als GEA nun nicht auch konsequent die WM boykottieren müssten, fordern sogar dazu auf. Das ist, gerade nach den ätzenden Vorwürfen gegen »uns als Medien« in den vergangenen Jahren, ein neuralgischer Punkt, weil es über allem doch um Meinungsfreiheit und Demokratie geht, deren Schutz. Nein, ein Boykott in der Berichterstattung wäre ein eklatant falsches Signal. Denn wir dürfen nicht wohlfeil ausblenden, was uns nicht gefällt, weil etwa eine Redaktionsmehrheit das so sieht. Da gibt es viele schmerzhafte Lehren aus der spaltenden Corona-Demo-Zeit: Wir sind keine Partei.
Mein persönliches journalistisches Credo steht immer für den nüchtern unverstellten Blick auf Nachrichten und Fakten: Berichte, was ist, lasse nichts weg, füge nichts hinzu – und überlasse den Lesern ein Urteil. Über die WM werden wir berichten wie über alles, was auf der Welt passiert. Und das nicht nur im Sportteil. Aber ich möchte, unjournalistisch, auch hier aufrichtig sein – als Fußball-Fan: Vielleicht ist es in Zeiten wie diesen auch gut, wenn der Ball endlich rollt: »Brot und Spiele«, stimmt. Ob das gut tut, muss jeder selbst entscheiden. Ob es richtig ist, bleibt eine Gewissensfrage. Auch das ist Freiheit. Anders als in Katar.