FRANKFURT/MAIN. Bei der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes wird am Samstag die Corona-Krise und die Auswirkungen im Mittelpunkt stehen.
»Man kann deutlich feststellen: Von Woche zu Woche wird die Not eine größere«, sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur zur Lage des organisierten Sports angesichts der Pandemie. Er erwarte nicht nur finanzielle Folgen, sondern auch einen massiven Mitgliederrückgang.
Frage: Sie haben früh vor den Folgen der Corona-Krise für den deutschen Sport gewarnt. Welche Wunden sind entstanden?
Alfons Hörmann: Seit Monaten ist Sporttreiben nicht in der Form möglich, wie wir es alle gewohnt sind und lieben. Das gesamte Wettkampfsystem ist im Dauer-Lockdown. Wenn man über Wunden redet: Die Funktionen des Sports und der Vereine als soziale Tankstellen oder Kitt in unserer Gesellschaft haben in Teilbereichen ganz erheblich gelitten. Ehrenamtliche, Kinder und Jugendliche sowie Erwachsene vermissen die Bewegung und das Gemeinschaftserlebnis im Sportverein.
Frage: Wie steht es um die Spitzensportler?
Den Top-Athleten fehlen die Wettkämpfe, die vielen Saisonhöhepunkte und das, was den Sport ausmacht, die Emotionen. Es geht gerade ein stückweit die Bindung zwischen Athleten und Fans, Athleten und Vereinen sowie zu Sponsoren verloren. Zu guter Letzt sind da die wirtschaftlichen und organisatorischen Wunden - durch abgesagte Veranstaltungen vom CHIO in Aachen bis hin zum Turnfest im nächsten Jahr in Leipzig, die verschobenen Olympischen Spiele in Tokio oder die Fußball-EM. Wir haben ein Krisenszenario, bei dem man wohl festhalten muss: Es gibt keinen einzigen unserer 90.000 Vereine in Deutschland, der nicht in irgendeiner Form betroffen ist.
Frage: Was erwächst da für einen Kahlschlag für den Sport?
Was die Mitglieder angeht, sehen die Prognosen quer durch Deutschland so aus, dass aus heutiger Sicht wohl zwischen fünf und 15 Prozent Rückgang erwartet werden. Die größeren Vereine und Verbände werden wohl stärker betroffen sein. Wenn man das auf die 27 Millionen Mitglieder in den Vereinen Deutschlands projiziert, muss man gegebenenfalls mit einem Mitgliederrückgang von zwei bis drei Millionen rechnen. Wir bekommen zudem von vielen Vereinen und Verbänden gespiegelt, dass das Engagement der rund 8,6 Millionen Ehrenamtlichen leidet, weil wenig bzw. nichts stattfindet. Es könnten uns möglicherweise eine Million Ehrenamtliche verloren gehen.
Frage: Ein Ende der Pandemie ist nicht absehbar!
Es ist nicht abschätzbar, ob dieser Modus in drei oder vier Monaten beendet sein wird, wenn Impfstoffe verfügbar sein sollten, oder wir auch zur Jahresmitte noch an dem Punkt sind, dass Vereine nicht vollumfänglich agieren können. Man kann deutlich feststellen: Von Woche zu Woche wird die Not eine größere und wir kommen mehr und mehr in einen Teufelskreis.
Frage: Was meinen Sie damit?
Wenn die Vereine auch im kommenden Jahr ihre Angebote nicht oder nur eingeschränkt unterbreiten können, ist die Gefahr weiterer Vereinsaustritte relativ groß, zudem können keine neuen Mitglieder für die Vereine gewonnen werden. Deshalb werden die größeren Wunden und damit verbundene bleibende Narben wohl in den kommenden Jahren entstehen, weil die erforderlichen Kostenreduzierungen in schmerzhaften Bereichen erfolgen müssen.
Frage: Für die Athleten sind die Tokio-Spiele die große Hoffnung!
Was 2021 mit zwölf Monaten Verspätung in Tokio stattfinden soll - idealerweise mit Zuschauern oder im schlechten Fall mit gar keinen - wäre allemal der verdiente Lohn für alle, die über Jahre oder Jahrzehnte hinweg auf den großen Moment ihres Lebens hin trainiert haben. Und wenn wir an Tokio denken und Dinge konzipieren, denken wir zugleich auch an die Winterspiele 2022 in Peking mit, die ja nur wenige Monate später stattfinden werden.
Frage: Sollten die Spiele ausfallen, wird dies den Weltsport finanziell hart treffen, der stark von den Olympia-Einnahmen lebt.
Wenn die Spiele nicht stattfinden sollten oder gar zweimal hintereinander nicht, dann hätte das finanzielle Auswirkungen auf allen Ebenen quer durch den Weltsport, die sich die meisten gar nicht vorstellen können. Denn wenn die Gelder des IOC nicht mehr an die Nationalen Olympischen Komitees und die Internationalen Spitzenverbände fließen, wird relativ schnell an jedem einzelnen Stützpunkt erkennbar werden, dass deutlich weniger Geld aus den Olympischen Spielen ins System kommt.
Frage: Der Bund gibt auch dem Sport erheblich mehr Geld zur Bewältigung der Krise. Ist das ein gutes Signal aus Berlin?
Es hilft auf jeden Fall, gerade dort, wo große Not und massive Existenzsorgen vorhanden sind. Zum anderen sind in Zeiten wie diesen nicht nur die faktischen Aspekte, sondern auch die emotionalen wichtig. Man erkennt und spürt, dass gerade in der Krise weiterhin auf unseren starken Staat Verlass ist. Zugleich wird eine dauerhafte Rückendeckung erkennbar. Gerade in einer extrem belastenden Phase wie der jetzigen ist das besonders bedeutend.
Frage: Ist Olympia in Deutschland durch die Pandemie auf Eis gelegt?
Nein, weil wir fortlaufend im Dialog mit dem IOC und innerhalb der Sportfamilie in Deutschlands stehen genauso wie mit der Initiative Rhein-Ruhr 2032. Wir haben einen gemeinsam abgestimmten Fahrplan und wollen uns im nächsten Jahr mit der Frage beschäftigen, ob es ein konkretes Projekt werden soll.
Frage: Wie kann sich der Sport von der größten Krise erholen?
Um unser Vereinssystem mit den 90.000 Vereinen und die gesamte Struktur des deutschen Sports werden wir weltweit beneidet. Es ist gerade in der schwierigen Zeit viel Solidarität und Teamgeist erkennbar, um mit der Krise in irgendeiner Form gemeinsam zurecht zu kommen. Aber es wird nicht spurlos an dem komplexen und engmaschigen System des organisierten Sports vorbeigehen. Man hat aber nun über Monate erlebt, wenn es wirklich dick kommt, ist die Geschlossenheit und das Miteinander an vielen Stellen sogar deutlich ausgeprägter als in guten Zeiten. Einfach formuliert: Die Not schweißt an vielen Stellen zusammen. In letzter Konsequenz eint uns wohl auch die wichtige Überzeugung, dass auch diese Krise enden wird und man sich gemeinsam wieder auf bessere Zeiten freuen kann.
ZUR PERSON: Alfons Hörmann (60) ist seit 2013 Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. Davor war der Wirtschaftsmanager von 2005 bis 2013 Präsident des Deutschen Skiverbandes. (dpa)
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