REUTLINGEN. Angeblich befürchtet der deutsche Profifußball Einnahmeverluste von 750 Millionen Euro durch die Corona-Krise. Doch wenn die Manager der Vereine und Verbände so weitermachen wie in den letzten Wochen, dann verliert diese Unterhaltungsbranche viel mehr – nämlich den Anspruch auf gesellschaftliche Verantwortung, Vorbildfunktion und Glaubwürdigkeit. Die Welt steht still – nur der Fußball glaubt, er könne sich weiterdrehen, wie und wann er will. In den Debatten im Mikrokosmos Bundesliga geht es nur darum, die durch das Corona-Virus unterbrochene Saison möglichst bald zu beenden. »Am Ende des Tages geht es um Geld.« Karl-Heinz Rummenigge vom FC Bayern München hat auf den Punkt gebracht.
Die Bundesliga-Clubs sind weitgehend zurück auf dem Trainingsplatz – in Kleinstgruppen unter strengsten behördlichen Auflagen. Einige Vereine beklagen jedoch das unterschiedliche Vorgehen der Ämter in der Corona-Krise bei den Ausnahmegenehmigungen für Berufssportler. Eine einheitliche Regelung des Bundesinnenministeriums gibt es nicht. Mit Argusaugen beobachten hochklassige Amateurteams das Treiben bei den fast 500 Profis im Oberhaus. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) warnt eindringlich davor, es ihnen nachzumachen. Absurd.
»Es ist schon besser, als allein daheim zu trainieren. Doch es hat mit Normalität nichts zu tun«, beschrieb Maximilian Arnold vom VfL Wolfsburg stellvertretend für viele seiner Kollegen den ungewohnten Übungsbetrieb. »Jede Gruppe hat eine separate Kabine. Wir haben separate Duschen und einen festen Physiotherapeuten«, sagte der Mittelfeldspieler. Im Kraftraum habe jeder seine eigene Matte und müsse Handschuhe tragen. »Nach jeder Übung müssen wir alles, was wir angefasst haben, desinfizieren.«
Üblich sind landauf, landab meist Spieler-Duos, die zusammen trainieren, nicht aber in Nordrhein-Westfalen: Der 1. FC Köln schwitzt sogar in Gruppen mit bis zu acht Profis, der FC Schalke 04 mit bis zu sieben, Borussia Mönchengladbach mit bis zu fünf. Alle Vereine betonen ausdrücklich, dass sämtliche Vorgaben der Behörden eingehalten werden. Dazu zählt weiterhin auch ein gewisser Mindestabstand zueinander.
Auch Tabellenführer FC Bayern München – mit dem zuletzt verletzten Torjäger Robert Lewandowski – und seine Verfolger Borussia Dortmund und RB Leipzig dürfen wieder fußballspezifischer üben, während der Spielbetrieb bis mindestens 30. April ruht. »Es war schon ein sehr ungewohntes Gefühl, heute in Kleingruppen ein Training abzuhalten. Aber es war auch schön, die Jungs mal wieder live zu sehen«, sagte Bayern-Kapitän Manuel Neuer. Werder Bremen befürchtete noch am Montag zunächst einen Wettbewerbsnachteil, bekam dann am Nachmittag aber vom Ordnungsamt der Stadt Bremen doch noch eine entsprechende Genehmigung – allerdings unter strengen Auflagen. Statt der von Werder beantragten zehn Spieler dürfen jeder Kleingruppe auf dem Trainingsplatz nur maximal vier Profis angehören.
Jonas Boldt, Sportvorstand des Hamburger SV, sieht in den unterschiedlichen Startvoraussetzungen »momentan noch keine entscheidende Wettbewerbsverzerrung. Wir wissen ja nicht, wann überhaupt gespielt wird.« So hatte Stadt- und Zweitligarivale FC St. Pauli – sehr zum Unwillen der Behörden – schon zu Beginn der vergangenen Woche Trainingseinheiten absolviert. In Hessen beklagte sich Kickers Offenbach, dass Eintracht Frankfurt bereits seit Freitag wieder trainiert. Dem Regionalligisten ist dies nach einem Verbot des Ordnungsamtes untersagt. »Ich finde es unglaublich, dass innerhalb eines Bundeslandes unterschiedliche Regelungen möglich sind«, sagte Geschäftsführer Thomas Sobotzik. (GEA/dpa)