OBERSTDORF. Skispringen ist hochsensibel, Skispringen ist hochemotional. Vor allem beim Auftaktspringen der Vierschanzentournee. »25.500 Zuschauer kann man nicht ausblenden, das ist viel zu laut. Man muss versuchen, die Euphorie mitzunehmen«, sagte Pius Paschke am Sonntagabend in Oberstdorf. Genau an dieser Situation ist der deutsche Hoffnungsträger auf den ersten Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee seit 23 Jahren »zuvor ein paar Mal gescheitert, wenn mich die Emotionen überkommen haben«. Doch diesmal hat der 34-Jährige aus Kiefersfelden standgehalten, mit den schon in der Qualifikation am Samstag überragenden Österreichern mitgehalten. Pius Paschke wurde beim Sieg von Stefan Kraft, vor Jan Hörl und Daniel Tschofenig Vierter, geht nach Sprüngen auf 138 und 133,5 Meter mit umgerechnet 7,5 Metern Rückstand auf die Spitze in den ersten von zwei Ruhetagen.
Lob von Horngacher
»Vor dieser Kulisse muss man erst mal so agieren«, lobte Bundestrainer Stefan Horngacher seinen besten Mann, der auch am Dienstag in der Qualifikation von Garmisch-Partenkirchen mit dem Gelben Trikot des Gesamtführenden im Weltcup startet. »Pius hat einen super Job gemacht, ist voll dabei.«
Das kann nur bedingt für die anderen deutschen Adler gelten: Karl Geiger schob sich dank eines sagenhaften zweiten Sprunges auf 137 Meter um zehn Plätze nach vorne, wurde Achter. »Es ist immer interessant, wie man aus der Weihnachtspause startet. Ich habe es extrem genossen, so lange in Führung zu liegen«, sagte der 31-Jährige nach seinem Heimspringen. Die unglaubliche Stimmung im ausverkauften Haus habe ihm »eine Gänsehaut aufgezogen«. Andreas Wellinger, vor einem Jahr Sieger in Oberstdorf und Zweiter der Tournee, war nach Platz 20 angefressen: »Ich kriege es nicht hin, dass ich die Energie aus den Beinen an der Kante mitnehme. Das ist nervig.«
Philipp Raimund (Platz 49), Adrian Tittel (44) und Stephan Leyhe (48) verpassten den zweiten Durchgang. Klarer Fall: Die Österreicher haben den Deutschen auf deren Heimschanze die Schau gestohlen, hatten schon die Qualifikation mit einem spektakulären Fünffachsieg gerockt – Daniel Tschofenig war am Samstag vor 16.500 Zuschauern der Beste gewesen, Pius Paschke als Sechster einigermaßen in Reichweite. Es hatte nach einem Fiasko für den Rest der Welt gegen die Austria-Adler im Auftaktspringen ausgesehen. Doch ganz so kam es nicht.
»Leichter haben wir es uns so nicht gemacht«, sagte Daniel Tschofenig zur Ausgangslage. Der 22-Jährige leistete sich im ersten Durchgang prompt einen Ausrutscher: »Da war ein bisschen die Nervosität im Spiel.« Routinier Stefan Kraft, der 31-Jährige steht mit nun 44 Weltcup-Erfolgen auf Platz der ewigen Siegerliste und gewann vor zehn Jahren als bisher letzter Österreicher die Tournee, hatte den Quali-Coup als »kleinen Feiertag für uns« bezeichnet. Es folgte Österreichs großer Feiertag, als es zählte. Denn die Kunst ist es, Erfolg zu bestätigen.
Ein wertvoller Tag
Was so ein außergewöhnlicher Erfolg bewirken kann? »Das gibt Selbstvertrauen und Ruhe«, so Stefan Kraft. »So lässt sich ein richtig gutes Gefühl aufbauen.« Sein Trainer Andreas Widhölzl war erleichtert: »Oberstdorf war oft unsere Angststation. Das war nun ein Wahnsinnsauftakt.«
Der Auftakt von Pius Paschke war immerhin sehr gut. Nach einem sehr schlechten Training am Samstag. »So ein Tag ist sehr wertvoll«, erklärte Paschke. Er habe mit den Trainern gesprochen, etwas verändert, was dann sofort in der Quali funktioniert habe. Er gab zu, nach den nicht so guten Ergebnissen in Engelberg vor einer Woche ins Grübeln gekommen zu sein: »Natürlich. Es ist normal, in so einem Fall eine Denkschleife zu drehen.« Skispringen ist eben hochsensibel, Skispringen ist hochemotional. Wie auch im Neujahrsspringen wieder zu beobachten sein wird. (GEA)