REUTLINGEN. In den 75 Jahren seit dem Wiedererscheinen des Reutlinger General-Anzeigers ist vieles geschehen. Die Ereignisse prägten nicht nur die Region, sondern auch jene, die darüber berichteten. Fünf Ehemalige des GEA erinnern sich an besondere und bewegende Momente ihrer Zeit bei der Zeitung. Sie blicken zurück auf bedeutende politische Ereignisse, wie die hitzige Debatte um Stuttgart 21 oder den Bau der Reutlinger Stadthalle, sowie auf sportliche Höchstleistungen regionaler Athleten. Unvergesslich sind auch persönliche Begegnungen mit Prominenten, wie dem ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt, oder der Schock über unerwartete Nachrichten..
Christoph Irion: Das Podium zu Stuttgart 21 hat ein wichtiges Forum geschaffen
November 2010. 14 Jahre her. Und doch noch so präsent im Gedächtnis von Christoph Irion: Rund 600 Zuhörer waren in die Listhalle gekommen, um sich über das Projekt Stuttgart 21 zu informieren. Christoph Irion und Hartmut Troebs waren nicht nur die Chefredakteure, sondern auch die Moderatoren des Abends. Der GEA habe ausführlich über dieses Thema informiert – mit Berichten, Hintergründen, Interviews, Kommentaren. »Das Thema war herausfordernd für die Menschen – und für uns als Redaktion. Auch wir haben gestritten, was der richtige Weg ist«, sagt Irion, ehe er direkt eintaucht in die Szenerie der Listhalle. »Die Stimmung ist aufgewühlt, im Vorfeld war sie sogar aggressiv. Auch uns Journalisten gegenüber. Wir haben auf der Bühne kontroverse Standpunkte, Sachverstand, Experten verschiedener Richtungen«, beschreibt Irion die knifflige Ausgangslage.
Und doch sei es an diesem Abend gelungen, die Menschen zusammenzubringen. »Und zwar nicht, dass sie nachher alle einer Meinung waren, sondern dass sie aufeinander gehört haben, dass sie zugehört haben und dass sie sich frei äußern konnten. Später haben wir sogar alle fröhlich gelacht. Das ist für mich ein elementar wichtiger Beitrag, den eine Tageszeitung wie der GEA bis heute für seine Region, für die Menschen in der Region und für die Demokratie leisten kann.« Ein solches Forum, das »tatsächlich zur Befriedung beitragen konnte«, habe nur der GEA anbieten können. »Diese Funktion hat die regionale Tageszeitung, hat der GEA nach meiner Überzeugung bis heute und soll sie auch in der Zukunft haben als ganz wichtigen Faktor für die Demokratie.« (rabe)
Roland Hauser: Die Entstehungsgeschichte der Reutlinger Stadthalle war einschneidend
Welches Ereignis, welche Geschichte, welche Recherche ihm am meisten in Erinnerung bleibt an seine Zeit beim GEA? Ex-Lokalchef Roland Hauser benötigt nur einen Augenblick: »Die Entstehungsgeschichte und der Bau der Reutlinger Stadthalle«, kommt es fast aus ihm herausgeschossen. »Das alles habe ich mit viel Herzblut all die Jahre begleitet und darin habe ich auch viel Schweiß und Überstunden investiert«, sagt er im Rückblick. Am Ende hat sogar ein Buch über das Gebäude geschrieben.
»Die Stadthalle, das hat nicht nur mich bewegt, sondern ganz Reutlingen. Da gab es historische Ereignisse.« Damit meint Hauser unter anderem die Abwahl des damaligen Oberbürgermeisters Dr. Stefan Schultes: »Seine Wiederwahl ist wahrscheinlich auch daran gescheitert, dass er ein großes Kultur- und Kongresszentrum für etwa 165 Millionen Mark bauen wollte. Das war den Reutlingern zu groß und zu teuer.«
Seine Nachfolgerin, Barbara Bosch, habe auf Bürgernähe und Transparenz gesetzt: »Sie wollte eine stark abgespeckte Version und kam letztendlich damit durch und bei den Menschen an.«
Ein Wochenende bleibt Roland Hauser in diesem Zusammenhang besonders in Erinnerung: »Die Entscheidung für den Stadthallenbau in dieser Form, gab das Rathaus am Samstagabend bekannt. Also entschlossen wir uns beim GEA: Lasst uns eine Nachtschicht einlegen und eine Sonderausgabe am Sonntag herausgeben.«
Tatsächlich wurden dann 5.000 Exemplare in der Reutlinger Innenstadt verteilt: »Die gingen weg, wie warme Wecken. Das werde ich nie vergessen.« (rr)
Wolf-Dieter Gentner: An deutschen Meistertiteln herrschte kein Mangel
Wenn Wolf-Dieter Gentner an seine GEA-Zeit zurückdenkt, ist er »doch einigermaßen enttäuscht über das offensichtliche Schrumpfen« der regionalen Sportqualität. »Das leistungssportliche Niveau war deutlich höher als heute«, sagt der ehemalige GEA-Sportchef. »Allein an deutschen Meistertiteln herrschte kein Mangel.« Gentner denkt dabei an Peter Stellwag, Heidi Eisterlehner, Sabine Hack, Peter Engel und Gert Bender.
Auch der Vereinssport habe sich »facettenreich« dargeboten. Im Tischtennis repräsentierte der SSV Reutlingen europäisches Spitzenformat, später die Betzinger Frauen. Zudem gab es große Erfolge der SSV-Fußballer und der Handballer des VfL Pfullingen und TV Neuhausen.
Wolf-Dieter Gentner war von 1976 bis 2000 Sportchef des Reutlinger General-Anzeigers. FOTO: GEA-ARCHIV
Gentner erinnert sich gerne an Groß-Veranstaltungen im Schwimmen, Tennis, Radsport und Reiten. »Im Motorsport hatte Reutlingen einen besonders guten Ruf.« Im Motocross gab es regelmäßig WM-Rennen. Rennfahrer wie Jürgen Lässig, Roland Asch und Michael Krumm brachten Siegerschleifen mit nach Hause.
Reutlingen sei in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts eine »Sportstadt« gewesen, behauptet er. »Das tragischste Ereignis während meiner GEA-Jahre war der Herztod des SSV-Fußballers Nwanegbo auf dem Spielfeld.« Persönliche Anliegen waren für Wolf-Dieter Gentner der Aufbau des GEA-Motorteils und seine Mitwirkung am Zustandekommen der zehn ARS/GEA-Sportlerbälle. »Gewiss nie wieder fanden sich Weltstars wie die Ballmoderatoren Ulrike Meyfarth, Toni Sailer, Martin Lauer, Eberhard Gienger und Ehrengäste vom Format Max Schmelings und Fritz Walters auf einer Reutlinger Bühne ein.« (kre)
Uschi Pacher: Meine Begegnung mit Ex-Kanzler Willy Brandt
Es gab viele Begegnungen mit Menschen, auch mit Berühmtheiten, während meiner jahrzehntelangen Arbeit als Fotografin beim GEA", erinnert sich Uschi Pacher. Einfache Leute, bekannte Sportlerinnen und Sportler seien darunter gewesen. Begegnungen, an die sie sich gerne erinnert. Aber eben auch berühmte und seinerzeit mächtige Politiker waren vor ihrer Kamera. "Die waren in den 70er- und frühen 80er-Jahren mit dem Zug nach Reutlingen gereist. Im Sonderabteil, beispielsweise auch Bundeskanzler Helmut Schmidt."
Besonders im Gedächtnis geblieben ist Uschi Pacher aber der Besuch von Schmidts Vorgänger im Amt, Willy Brandt. »Da war er schon kein Kanzler mehr, sondern Bundesvorsitzender der SPD«, erinnert sie sich. Das war im März 1984.
Hat für den GEA unzählige Menschen im Bild festgehalten: Fotografin Uschi Pacher. FOTO: GERLINDE TRINKHAUS
»Der ist aber auch auf der Schiene, in seinem Extra-Waggon angereist.« Der Ex-Kanzler habe bei einer SPD-Veranstaltung in der Reutlinger Listhalle sprechen wollen. Sie sei aber schon in den wartenden Zug am Bahnhof eingestiegen, um die ersten Fotos zu schießen. »Da sagte ich, dass ich gerne in der Listhalle sein würde, bevor der ganze Trubel und das Gedränge losgehen würde. Da hat Willy Brand gesagt, dafür sorge ich.« Tatsächlich sei sie dann zu einem Auto gebracht worden, das noch vor allen anderen (»Ich meine, auch vor der Polizei-Eskorte«) in Richtung Listhalle fuhr.
»Also war ich die Erste, die im Saal ankam und das war super, weil ich gute Fotos machen konnte. Ich habe Willy Brandt als sehr netten und hilfsbereiten Menschen in Erinnerung.« (rr)
Hansdieter Werner: Der Tod von Starbariton Hermann Prey war ein Schock
Es war eine einschneidende Nachricht: Unerwartet war 1998 Starbariton Hermann Prey gestorben. »Das war ein Schock«, erinnert sich der damalige GEA-Kulturredaktionsleiter Hansdieter Werner. Mit seinem Charisma hatte Prey die Herbstlichen Musiktage Bad Urach geprägt, in die Region ausgestrahlt. »Er war sehr zugewandt«, erinnert sich Werner. »Und er hatte Lieblingstöne: ›Mein Es müssen Sie hören!‹, hat er mal gesagt.«
Manches damals sei abenteuerlich gewesen, erzählt Werner. In den 1980er-Jahren sei er als Rezensent zu den Bregenzer Festspielen gefahren – in einem klapprigen VW Käfer aus dem GEA-Fuhrpark. 1988 ging es sogar nach Vorarlberg zur Firma Rieger, um vorab die Orgel zu besichtigen, die in die Reutlinger Marienkirche eingebaut werden sollte. Eine schöne Ge-schichte für die Weihnachtsausgabe wurde daraus.
Hansdieter Werner leitete von 1983 bis 2004 die Kulturredaktion des Reutlinger General-Anzeigers. FOTO: GEA-ARCHIV
HAP Grieshaber, der 1981 starb, hat er nicht mehr persönlich kennengelernt. Von Mitarbeitern in der Rotation jedoch erfahren, dass der Künstler nach dem Druck immer Farbreste dort einsammelte. Wofür er sich mit Holzschnitten revanchierte. »Fast jeder in der Rotation hatte einen Grieshaber!«
Viele andere haben ihn beeindruckt: Elisabeth Wacker als Gesangspädagogin, Manfred Wandel und Gabriele Kübler mit ihrer Stiftung für konkrete Kunst. Gabriele Straub und Hanns-Gerhard Rösch mit ihrer Gratianusstiftung. Und Friedemann Rieger: »Ein ausgezeichneter Pianist und exzellenter Lehrer – ein wahrer Pianistenmacher! Wenn ich jünger gewesen wäre, hätte ich am liebsten selber bei ihm Unterricht genommen.« (akr)