REUTLINGEN/REGION. Einen dicken Brief hat ein GEA-Leser jüngst von seinem Kaminfeger zugeschickt bekommen. Nun sind Schornsteinfeger ja eher selten nebenbei Dichter oder Schriftsteller, sondern nun mal Handwerker. Auch wenn das Volumen der Postsendung also auf eine Gedichtsammlung oder einen Romanentwurf hätte schließen lassen können, fanden sich darin vielmehr ein Anschreiben, zwei Rechnungen und ein Wust an Dokumentationen zur Tätigkeit des Kaminkehrers im Haus des Kunden. Das ganze füllte nicht weniger als neun Blatt Papier. Die Schriftstücke umfassten »1. den Feuerstättenbescheid nach Paragraf 14a Schornsteinfeger-Handwerksgesetz, 2. die Bescheinigung über das Ergebnis der Überprüfung und Messung einer Feuerstätte, 3. der Bescheinigung über das Ergebnis der Feuerstättenschau, 4. die Bescheinigung über das Ergebnis der Durchführung und Beratung für eine Feuerungsanlage für feste Brennstoffe sowie 5. Hinweise auf die Verpflichtung nach § 97 Absatz 1 und 4 Gebäudeenergiegesetz« (GEG).
Ganz schön viel Papierkram, meint der GEA-Leser, zumal es sich bei der überprüften Heizungsanlage nicht etwa um die Versorgung des Empire State Buildings noch eines Mehrfamilienhauses, sondern um die Heizung eines ganz normalen Einfamilienhauses handelte. Da stehe doch die eigentliche, technische Arbeit des Schornsteinfegers – 15 Minuten an der Anlage – in keinem Verhältnis zum Verwaltungsaufwand. Muss das sein? Da verwalten wir uns doch zu Tode, findet der Leser, der keinesfalls die Arbeit des Kaminfegers kritisieren will und sich auch von Behördenschelte weit entfernt sieht. Aber: Vorschriften und Verordnungen haben in diesem Fall ein Ausmaß erreicht, »das einfach nicht mehr zu bewältigen ist, enorme unnötige Kosten verursacht und den Frust aller Bürger begünstigt und verstärkt«. Nicht nur die: Frust schieben offenbar auch die Schornsteinfeger. Zwei von drei, die wir zu diesem Thema befragen wollten, winken ab: Keine Zeit, Auskunft zu geben. Zu viel Arbeit.
Innungsobermeister gibt dem besorgten Bürger recht
Andreas Feuerer jedoch ist von (Ehren)Amts wegen seit 16 Jahren als Obermeister der Schornsteinfegerinnung, also der Interessenvertretung der selbstständigen Schornsteinfeger, im Regierungsbezirk Tübingen nicht nur für die Sorgen von 170 Betrieben in neun Landkreisen zwischen Bodensee, Ulm und der Region Neckar-Alb zuständig, sondern auch für Diskussionen mit Politikern und Auskünfte an die Medien. Er nimmt zu unserer Leserfrage gern Stellung. Dazu führt der ursprünglich aus Weil der Stadt stammende Fachmann auch selbst einen Betrieb, in Kressbronn am Bodensee. Von daher kann er jenem besorgten Reutlinger nur recht geben: »Ich muss ja selbst auch alles ausfüllen.« Er sage zu seinen Kunden immer schon vorab, »Sie wissen ja, im Nachgang zur Feuerstättenschau muss ich sie jetzt wieder mit Papier zuschmeißen«. Da die Schornsteinfeger mit den eingangs unter Ziffer 1 bis 5 aufgeführten Tätigkeiten »eine hoheitliche Tätigkeit im Namen des Staates ausführen«, gehöre dazu – wie bei jeder Behörde – die Dokumentation, erklärt Feuerer. Er vergleicht das mit dem Steuer- oder Abwasserbescheid. Zu jedem dieser Punkte gehöre ein Stück Papier, »wo draufsteht, so isch es«.
Für den Kunden ist das insofern gut, als im Schadensfall – also, sollte es mal nicht nur im Ofen brennen – die Brandschutzversicherung solche Dokumente einfordert, bevor sie zahlt. Und für die Handwerker sind diese Arbeitsnachweise von Vorteil, als sie damit dem Landratsamt als Vertreter ihrer Auftraggeber – Land und Bund – Rechenschaft ablegen.
Vergleichbar mit dem TÜV bei Autos
Vergleichen könne man das auch mit dem TÜV bei Fahrzeugen, sagt Feuerer. Während ein Auto alle zwei Jahre zur technischen Sicherheitsüberprüfung muss, schreibe der Gesetzgeber vor, dass Heizungsanlagen im Haus, von denen ja auch Gefahr für Mensch und Umwelt ausgehen kann, zweimal in sieben Jahren im Rahmen der Feuerstättenschau überprüft werden. Dies nur beim Einbau zu tun, reiche deshalb nicht, da sich in der Wohnung ja über die Jahre allerhand verändern kann: Stand der Kaminofen im Wohnzimmer anfangs auf Fliesenboden, gefällt das dem Bewohner vielleicht nach ein paar Jahren nicht mehr und er verlegt stattdessen Parkett – brandschutztechnisch ein ganz anderer Fall. Oder er ersetzt ein Zwei- mit einem Dreisitzersofa, das dann näher im Strahlungsbereich der Feuerstätte steht. All solche Sachen. Und da Kaminkehrer oft die einzigen sind, die regelmäßig Zugang zu den Feuerungsanlagen in Privathäusern und -wohnungen haben, wurden ihnen immer mehr solch’ »hoheitlicher Aufgaben« übertragen. Zuletzt kam infolge von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habecks (Grüne) gern als »Heizungsgesetz« bezeichnetem GEG wieder eine ganz andere gesetzliche Aufgabe dazu – und damit noch ein Papier.
Aber man müsste aus Feuerers Sicht nicht jedes Mal die komplette Gesetzeslage ausführen. »Aus einem Satz werden da schnell zwei DIN-A-4-Seiten.« Daraus resultiere dieser »Papierkrieg«. Der zeige, dass manchmal Gesetze nicht zu Ende gedacht oder nicht ausreichend klar formuliert seien. »Steht da nicht ,einmalig’ drin, dann müssen wir den ganzen Wust jedes Mal wieder unterschreiben und versenden.«
Immer öfter kommt es vor, dass Kehrbezirke wegen Verwaltungsirrsinn nicht besetzt werden können
Tatsächlich ist es aufgrund dieses Verwaltungswahnsinns heutzutage zum Teil schwer, die 930 Kehrbezirke im Land – im Kreis Reutlingen sind es 25 – wieder zu besetzen, wenn ein Kaminkehrer in Rente geht oder stirbt. »Weil viele junge Handwerker diesen Irrsinn nicht mehr wollen.«
Seit 2013 aufgrund einer EU-Auflage das Kehrmonopol in Deutschland aufgehoben wurde, teilt sich die Arbeit eines Schornsteinfegermeisters in hoheitliche und nicht hoheitliche Aufgaben. Als »staatlich beliehener Selbstständiger« – vergleichbar einem Notar – deckt er einen Kehrbezirk mit den vorgenannten Aufgaben samt der ganzen Verwaltungsauflagen ab. Als normaler Selbstständiger ist er einfach fürs Kehren und Reinigen zuständig, hat weder Preisbindung noch Verwaltungswust an der Backe und unterliegt dem freien Markt. Das sei vielen Kollegen inzwischen lieber. Zumal sich die staatlich vergüteten Gebühren nicht sonderlich lukrativ ausnehmen. Finanziell lohne sich der Aufwand in der Tat kaum. Rein von den hoheitlichen Aufgaben könne ein Selbstständiger nicht leben, das mache nur 30 bis 40 Prozent vom Umsatz aus.
Für die Aufgaben im Sinne des GEG etwa erhält ein Kaminfeger gerade mal zwei Euro – mit Mehrwertsteuer. »Dafür muss ich kontrollieren, ausfüllen und eine Statistik erstellen«, führt der Innungsobermeister aus. Wenn es nach ihm und seinen Kollegen ginge, bekäme der Kunde einen Stempel und die Rechnung, fertig. Der Staat tue sich damit schwer. Auch damit, diese Vorgänge zu digitalisieren.
Ändern könnte das allein die Politik. Der Reutlinger GEA-Leser müsste sich daher mit seiner Klage an die lokalen Landes- und Bundestagsabgeordneten wenden. »Wir sind schon die ganze Zeit am Diskutieren mit unserem Auftraggeber.« Seit 16 Jahren führe er diesbezüglich dieselben Diskussionen mit der Politik. Vielleicht würden Proteste von Bürgern mehr bringen. Wenn der oberste Kaminkehrer im Regierungsbezirk mal wieder einen Politiker von Entbürokratisierung reden hört, dann ärgert ihn das sehr, gesteht Andreas Feuerer. Denn in der Praxis gehe es »eher in die andere Richtung«. (GEA)