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Aktuell Leser-Forum

Wie die Verödung von Reutlingens Innenstadt stoppen?

Dass sich die Metzgerstraße binnen der zurückliegenden Dekade sehr zu ihrem Nachteil verändert hat, ist Stadtgespräch. Aber auch in der Kanzleistraße sieht es öde aus. Hier reiht sich inzwischen Leerstand an Leerstand. Ob die Ideen der GEA-Leser Abhilfe schaffen könnten?

Gähnende Leere herrscht im Parterre des Gebäudes Kanzlei-/Ecke Begerstraße.
Gähnende Leere herrscht im Parterre des Gebäudes Kanzlei-/Ecke Begerstraße. Foto: Frank Pieth
Gähnende Leere herrscht im Parterre des Gebäudes Kanzlei-/Ecke Begerstraße.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Leerstände und Barber-Shops in der Metzgerstraße sind derzeit in aller Munde. Die ehemalige Einkaufsmeile liege, wie es heißt, in Agonie, und gebe Anlass zur Befürchtung, dass sich die Tristesse an Ort und Stelle eingerichtet hat und sesshaft werden möchte. Dabei ist der bedenkliche Zustand der Metzgerstraße beileibe keine innerstädtische Ausnahme. Sehr schlecht bestellt ist es nämlich auch um die Kanzleistraße, in der sich inzwischen Leerstand an Leerstand reiht.

Beinahe scheint es, als breite sich das Ladensterben allmählich von den B- in die A-Lagen aus. Denn spätestens seit Bekanntwerden des Breuninger-Rückzugs ist auch das Herz der Altstadt in Gefahr an Rhythmusstörungen zu erkranken. Und dann? Mit dieser Frage, vor allem aber mit Therapiemöglichkeiten – also Verbesserungsvorschlägen, Wünschen und Impulsen von Menschen aus Reutlingen und der Region – befasst sich dieses Leser-Forum, in dessen Rahmen bereits spannende Ideen für ein Wiedererstarken der City formuliert wurden. Heute geht’s in die nächste Runde: mit weiteren interessanten Zuschriften.

Ihre Meinung ist gefragt

Liebe Leserinnen und Leser, jetzt sind Sie gefragt. Wie beurteilen Sie die Reutlinger Innenstadt? Was fehlt Ihnen? Womit ließe sich die City Ihrer Meinung nach aufwerten? Wo sind Schwächen, wo Stärken? Die GEA-Lokalredaktion will’s wissen und hofft auf interessante Mail-Zuschriften (maximal 70 Zeilen à 35 Anschläge, mit Namens- und Wohnortsangabe), die dann in diesem Leser-Forum veröffentlicht werden. (ekü)
gea-forum@gea.de

Fabian Walenczak, Reutlingen/Tübingen: Begehbares »Bücherregal« nebst Cafébetrieb

Für die Reutlinger Innenstadt wünscht sich Fabian Walenczak »Geschäfte, die genossenschaftlich organisiert sind und nicht so einfach durch Online-Konkurrenz ersetzt werden können: indem sie den Gemeinschaftssinn in den Vordergrund stellen. Ich denke hier zum Beispiel an kleine Läden, in denen gebrauchte Bücher oder ähnliches angeboten werden.« Auf diesen Gedanken hat ihn »das Gebrauchtbücherregal am oberen Ende der Wilhelmstraße« gebracht. Denn dieses werde gut angenommen. »Ich könnte mir deshalb vorstellen, dass man eines der vielen leer stehenden Geschäfte hierfür nutzt« und dieses begehbare Bücherregal »eventuell mit einem Café verbindet, in dem hin und wieder Lesungen oder ähnliche Events stattfinden – eben Dinge, die man online nicht bekommt.« In der Achalmstadt, ist sich Walenczak sicher, »gibt es bestimmt bibliophile Menschen, die in einem Ehrenamt einen Tag die Woche in solchen Läden arbeiten würden. Wichtig wäre, dass solche Vorhaben durch die Stadt gewollt und unterstützt werden.«

Nach Umzug des Geschäfts steht diese Verkaufsfläche in der Kanzleistraße leer.
Nach Umzug des Geschäfts steht diese Verkaufsfläche in der Kanzleistraße leer. Foto: Frank Pieth
Nach Umzug des Geschäfts steht diese Verkaufsfläche in der Kanzleistraße leer.
Foto: Frank Pieth

Edith Koschwitz, Reutlingen: Die Vielfalt fördern und gestalten

»Stadtverwaltung und Akteure des Stadtmarketings orientieren sich gerne an der Idee, dass gut situierte Reutlinger mit dem Einkaufskorb auf den Markt gehen (nachdem sie günstig geparkt haben) und sich bei inhabergeführten Geschäften mit Kleidung und Konsumartikeln eindecken«, schreibt Edith Koschwitz für den Reutlinger Verein Netzwerk Kultur. Diese Zielgruppe wird aus Sicht der Forums-Teilnehmerin immer kleiner »und auch nicht wieder wachsen«. Realität sei längst, dass in der City »Menschen aus 40 Herkunftsländern leben, Tendenz steigend«. Sie alle nutzen die Innenstadt und haben vielfältige Bedürfnisse: »Manche lagern in größeren Gruppen beim Bürgerpark und Tübinger Tor, manche gründen Unternehmen (ja, Barbershops und Nagelstudios, Gemüseläden, Dönerläden). Das ist zu respektieren, auch wenn es nicht allen gefällt – sie füllen immerhin Leerstände (…)«

Die »Pflasterpiste Wilhelmstraße mit liebloser Möblierung«, davon ist Koschwitz überzeugt, »trifft die Bedürfnisse der Menschen längst nicht mehr – unabhängig von Online-Handel-Rückgängen. Eine Chance für die Zukunft besteht darin, die vielfältigen Bevölkerungsgruppen und ihre Bedürfnisse wahrzunehmen, sie in die Gestaltung des Lebensraums Stadt zu integrieren, ihnen Raum zu geben und die zukünftige Entwicklung im Sinne der Vielfalt zu steuern.«

Die Reutlingerin erinnert an die kommunale Kulturkonzeption, in der empfohlen wurde »kulturelle Veranstaltungen in die Innenstadt zu holen und niedrigschwellig zugänglich zu machen: Kunstaktionen mit Malerei im Freien, Musiksessions, Einblicke in Museen, Konzerte und Veranstaltungen, Anlaufstellen für Künstler, Bühnen für Sessions auf Plätzen, Raum für spontane Aktionen, für Spaß und Kreativität, um Ansprechpartner kennenzulernen, sich auszutauschen«.

Ihr Verein "Netzwerk Kultur" sei in diesem Sinne nicht nur anregend, sondern auch tätig unterwegs. "Wir haben die Reutlinger Kulturnacht initiiert (bis die Mittel dafür gestrichen wurden), unter anderem ein Streetpiano-Projekt gestartet, die frühere Paketpost belebt und ein vitales Netzwerk entwickelt.

In Reutlingen gibt es viele gute Künstler, Musiker, Projekte und Initiativen im Bereich Kultur – sie sind interkulturell und können zur Identifikation der Stadt beitragen, sie wirken integrativ und fördern das friedliche Zusammenleben. Aber ihnen fehlen Ressourcen, Auftrittsmöglichkeiten und Ausstellungsflächen. Die lebendige Kulturszene ist bei Weitem nicht ausreichend sichtbar und unterbewertet. Auch unserem Verein fehlt ein Ort, an dem unsere Vernetzungsarbeit stattfinden kann. Kultur allein kann die Abwärtsspirale der Innenstadt nicht aufhalten, aber gemeinsam mit anderen Akteuren eine positive Wendung einleiten" – und Leerstände mit kreativem Leben füllen.

Und noch ein Leerstand in der Kanzleistraße: Seitdem das Café geschlossen hat, steht das Parterre leblos da.
Und noch ein Leerstand in der Kanzleistraße: Seitdem das Café geschlossen hat, steht das Parterre leblos da. Foto: Frank Pieth
Und noch ein Leerstand in der Kanzleistraße: Seitdem das Café geschlossen hat, steht das Parterre leblos da.
Foto: Frank Pieth

Detlev Maier, Reutlingen: Individualität statt Uniformität

Mit Kultur die Stadt zum Pulsieren bringen – dieser Aspekt ist auch Thema von Detlev Maier, für den die »Transformation der Innenstädte« längst begonnen hat. Mit »Kultur und Grün« sollten sie ausgestattet sein und »individuell zugeschnitten«. Konkret: »Wir müssen wegkommen von der Uniformität durch immer gleiche Handelsketten mit immer gleichen Produkten und hinkommen zu kleinen Shops mit unterschiedlichstem Warenangebot, das den Bedürfnissen der Bürgerschaft idealerweise entgegenkommt.« Auch »Interimsbelegungen« kann sich Maier gut vorstellen und nennt in diesem Zusammenhang das Beispiel Dortmund. »Dort«, weiß er, »sind es Kunst und Kultur, die in Schaufenstern gedeihen. Von einem sogenannten Superraum aus werden die Leerstände in der Dortmunder City mit Ausstellungen, Lesungen und Performances bespielt. Das kommt an.«

Erst kürzlich hat sich Elektro Hecht aus der Kanzleistraße verabschiedet. Ob und wie es hier wohl weiter geht?
Erst kürzlich hat sich Elektro Hecht aus der Kanzleistraße verabschiedet. Ob und wie es hier wohl weiter geht? Foto: Frank Pieth
Erst kürzlich hat sich Elektro Hecht aus der Kanzleistraße verabschiedet. Ob und wie es hier wohl weiter geht?
Foto: Frank Pieth

Claudia Bader, Reutlingen: Schöne Pflanzen und mehr Sitzmöbel

»Meiner Meinung nach«, so Claudia Bader, »sollten schöne grüne Pflanzen in der Stadt verteilt aufgestellt werden und bepflanzte Blumenkästen, die die Blicke auf sich ziehen und wie ein Magnet wirken; die dafür sorgen, dass sich die Menschen wohlfühlen.« Außerdem wäre es laut Bader für die Reutlinger City wünschenswert, »wenn sich so schnell wie möglich ein Nachfolger für Galeria Kaufhof findet.« Gemeint ist ein Anbieter mit breiter Produktpalette nebst »Erlebnisrestaurant im Obergeschoss«. Nach Einschätzung der Reutlingerin würden der Fußgängerzone außerdem »mehr aus gutem Holz gefertigte und verankerte Sitzmöbel zum Verweilen« guttun. Denn derlei Pausiergelegenheiten gebe es zu wenige. Was auch für »besondere Aktionen« gelte.

Tote Hose herrscht auch hinter diesem verhüllten Schaufenster - zu finden in der Kanzleistraße.
Tote Hose herrscht auch hinter diesem verhüllten Schaufenster - zu finden in der Kanzleistraße. Foto: Frank Pieth
Tote Hose herrscht auch hinter diesem verhüllten Schaufenster - zu finden in der Kanzleistraße.
Foto: Frank Pieth

Klaus Brunner, Reutlingen: Autofrei macht menschenleer

»Das Ziel der Stadt Reutlingen, die Innenstadt autofrei zu gestalten wird wohl bald erreicht sein«, polemisiert Klaus Brunner. »Ständig steigende Parkgebühren und die Reduzierung der Parkmöglichkeiten wird Menschen, insbesondere aus dem Umland davon abhalten, zum Bummeln und Einkaufen nach Reutlingen zu kommen.« Wobei dies, so die Einschätzung des Reutlingers, ein Prozess sein wird, der ziemlich geräuschlos abläuft. Denn »Menschen aus den Ortsteilen und dem Umland werden sich nicht beschweren – sie kommen halt einfach nicht mehr«. Auf was Klaus Brunner in Reutlingens Innenstadt problemlos verzichten kann? »Auf den zum Teil rüpelhaften und unkontrollierten Fahrradverkehr in der Wilhelmstraße.« Der nämliche tue »sein Übriges«, die Aufenthaltsqualität in der Fußgängerzone zu trüben.

Sandra Schäfer, Reutlingen: Immobilienbesitzer müssen mitziehen

Im Leser-Forum hat Sandra Schäfer »bereits überdenkenswerte Vorschläge für die Innenstadt gelesen«, von denen viele jedoch »nur dann umsetzbar sind, wenn die Immobilienbesitzer mitziehen und zum Beispiel durch Mietnachlass Zwischennutzungen, etwa für Kultur, ermöglichen«. (GEA)
Fortsetzung folgt ...