REUTLINGEN. Wo man auch hinschaut, zu viel Bürokratie? Darüber sind sich jedenfalls der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der Esslinger Kollege Matthias Klopfer und Schwäbisch Gmünds OB Richard Arnold in einem gemeinsamen Schreiben an Bundeskanzler Olaf Scholz einig. Längst habe man in vielen Bereichen ein verträgliches Maß an Bürokratie überschritten, wie das Trio kritisiert. Doch wie ist dazu die Meinung in der Reutlinger Fußgängerzone? Welche staatlichen Vorschriften und Beamtengänge sind die größten Hürden für Normalbürger?
Auf das Behördenmanagement angesprochen, weichen viele Passanten dem GEA-Reporter aus. Eine Reutlinger Schulleiterin winkt zunächst ab und äußert sich aufgrund von Befürchtungen, ihre Meinung könnte negative Auswirkungen auf ihre Arbeit haben, nur anonym. »Ich müsste viel zu viel gegen die Stadt Reutlingen sagen, deshalb kann ich leider gar nichts dazu sagen. Uns wird das Leben so schwer gemacht in der Schule durch Bürokratie und durch die Abläufe«.
Andere haben mit Verwaltungen überhaupt nichts am Hut: »Damit kenne ich mich sowieso nicht aus« – und winken direkt ab. Und wiederum andere haben eine deutliche Meinung, wie beispielsweise Volkhard Vincent. »Vor drei Jahren habe ich eine neue Heizung in mein Haus eingebaut und nach Jahren kam dann der ganze Papierkram«, sagt der 77-Jährige. Plötzlich habe er Biogas einspeisen müssen, worauf der Ruheständler nicht vorbereitet gewesen sei. Damit die neue Heizung alle Vorschriften erfüllt, habe er zunächst einen Gutachter das gesamte Haus beurteilen lassen. »Es wurde geschaut, was energiepolitisch gut ist und was ich eventuell noch machen könnte. Das hat mich natürlich 300 Euro gekostet«, erzählt der Rentner. Währenddessen sei der Kontakt mit den Behörden laut Volkhard mühselig gewesen. Als er guten Endes die richtigen Unterlagen parat hatte, wurde Volkhard gebeten, eine Seite mit der Unterschrift des Gutachters und dem Datum der Unterschrift nachzureichen. »Das ist doch überzogen, das bringt doch überhaupt nichts.«
Ebenso geplagt vom Amtsschimmel, erzählt der 49-jährige Wolf Sorg über seine Erfahrungen mit dem Arbeitsamt. »Ich habe den Job gewechselt, das eigentliche Angebot ist aber geplatzt«, sagt Sorg. Daraufhin musste er sich arbeitslos melden. »Dieser Formularwust, der mir da begegnete, war wirklich unglaublich.« Zum Glück hat der 49-Jährige aber zeitnah einen anderen Job gefunden, wie er dem GEA berichtet. Erschwerend hinzu komme die Sprache auf einem Amt. »Ich kann Deutsch, aber jemand, der das nicht wirklich kann oder der sich mit dem Lesen schwertut, bei dem frage ich mich, ob er zurechtkommt.«
Unproblematisch sieht hingegen Anton Lieb das Thema. »Bisher hatte ich da keine Probleme«, sagt der 77-Jährige mit einem gelben Blumenstrauß in den Händen. Lieb ist nur zu Besuch in Reutlingen, weil sein Sohn Geburtstag hat, sonst wohnt er im Taubertal in der Stadt Lauda. Deshalb könne er nur wenig über die Ämter in der Region um Reutlingen sagen. Als Rentner fühlt er sich aber trotz seines Alters einem Amtsgang gewappnet: »Mit dem Digitalen hatte bisher auch keine Probleme, denn das nutze ich nicht.« Auch das Beantragen eines neuen Führerscheins oder eines Ausweises lief bei ihm immer reibungslos ab.
Die 32-jährige Sandra hat eine zwiegespaltene Meinung über Behörden und Ämter. »Beim Antrag auf Fördergeld während des Studiums (BAföG) musste ich fast sechs Wochen warten«, erinnert sie sich. Dies sei ärgerlich gewesen – eine schnellere Bearbeitung wäre für die damals noch junge Studentin hilfreich gewesen. Da sie das Studium aber schon vor einigen Jahren beendet hat, kommt sie heute mit der deutschen Bürokratie besser zurecht als noch vor einigen Jahren. (GEA)