GEA: Vor 75 Jahren hat der Reutlinger General-Anzeiger die Erlaubnis bekommen, wieder eine Zeitung herauszubringen. Warum war das wichtig für Reutlingen und die Region?
Valdo Lehari: Nach dem Krieg, der Befreiung Deutschlands und der Wiedergeburt der Freiheitsrechte war es ein Meilenstein, dass die Stadt und die Region Reutlingen wieder die Zeitung bekommen hat, die bis 1939 auf dem Markt war. Der GEA war vorher da und wurde von den Menschen vermisst. Das hat man daran gesehen, mit welcher Geschwindigkeit die Abonnenten und Leser nach dem Neustart zurückgekommen sind.
Vier Jahre danach sind Sie auf die Welt gekommen. Was sind Ihre ersten Erinnerungen an den GEA?
Lehari:Da gibt es viele. Wenn ich hier bei meinem Großvater und Vater war, dann roch es nach Farbe und man hörte das Dröhnen der Druckmaschinen. Damals hat man auch noch schwarze Finger bekommen, wenn man eine frische Zeitung angefasst hat. Ich habe schon früh angefangen, den GEA zu lesen. Ich weiß nicht mehr genau wann, aber der SSV Reutlingen war bundesweit noch bekannt und erfolgreich.
»Man hat Verantwortung für die Bevölkerung in Reutlingen und Region«
Sie haben Jura studiert, hätten Anwalt oder Richter werden können. Wie kam es, dass Sie Verleger wurden?
Lehari: Ich habe mich während des Jurastudiums intensiv mit Pressefreiheit und Demokratie befasst. Gleichzeitig waren die Signale meines Großvaters klar, welche Rolle und welche Aufgaben gegebenenfalls auf mich zukommen würden. Ich hatte schon Alternativen, in anderen Medienhäusern und im Bereich der Rechtswissenschaften. Aber ich habe auch eine Verpflichtung gegenüber dem Familienunternehmen, meinen Großeltern und Eltern gespürt. Das Jurastudium ist trotzdem hilfreich gewesen, denn die Zeitung hat immer wieder juristische und rechtspolitische Themen, insofern hilft mir das auch heute in der Medienpolitik.
Was hat Sie am Verlegersein fasziniert?
Lehari: Die Aufgabenstellung ist besonders und vielfältig, die Verantwortung groß. Bei Gesprächen daheim, oder wenn mir mein Großvater vom GEA erzählt hat, habe ich miterlebt, dass es nicht nur um Farbe, Blei und Druckmaschinen geht, sondern dass man Verantwortung für die Bevölkerung in Reutlingen und Region hat. Manchmal ist man so etwas wie ein Ombudsmann für die Menschen, manchmal Anreger im publizistischen Bereich, Kritiker oder positiver Begleiter. Verlegersein ist kein normaler Beruf, das ist eine Berufung und das hat mich fasziniert.
Sie erzählen oft von Ihrem Großvater Eugen Lachenmann, der ebenfalls GEA-Verleger war. Er scheint eine große Bedeutung für Sie zu haben …
Lehari:Eugen Lachenmann hat das Unternehmen in einer schwierigen Zeit übernommen und fortgeführt. Wir sagen heute oft, es sei alles schlimmer denn je. Doch im Vergleich dazu, was meine Großeltern und Eltern erlebt haben, ist das relativ. In Reutlingen war mein Opa eine Institution, nicht nur wegen seiner Sprüche. Er war ein Visionär. Ihm gegenüber fühle ich mich besonders verpflichtet, weil er den GEA nach dem Krieg wieder aufgebaut hat. Was ihm passiert ist, seine Sorgen, wie stabil Deutschland in Zukunft sein wird, geben mir immer wieder die Kraft und Pflicht, mich für Pressefreiheit und Demokratie einzusetzen.
Was haben Sie von ihm gelernt?
Lehari: Ihm war unglaublich wichtig, dass man die regionale Verwurzelung nicht aus den Augen verliert und welche Bedeutung Mitarbeiter fürs Unternehmen haben. Außerdem hat er den Spagat zwischen Sparsamkeit, Tradition und Fortschritt gemeistert.
Wie war es für Sie, mit Großvater und Vater zusammenzuarbeiten, sich durchzusetzen?
Lehari: Nach meiner Zeit in Amerika und beim General-Anzeiger in Bonn, wo ich Assistent der Geschäftsführung war, hatte ich vieles im Kopf, das ich gerne verändert und neu gemacht hätte. Manches davon konnte ich umsetzen, manches nicht. Am Anfang waren wir sogar zu dritt, da waren mein Opa, mein Vater und ich gemeinsam am Werk. Da lernt man Diplomatie, Kreativität und Geduld.
»Ich habe meine Frau hier kennengelernt, das ist das größte Highlight«
Sie übernehmen beim GEA bereits seit mehr als 40 Jahren Verantwortung. Wenn Sie ein Highlight aus dieser Zeit nennen müssten, was wäre das?
Lehari: Ich habe meine Frau hier am Burgplatz kennengelernt, das ist das größte Highlight. Beruflich gesehen steht die Gründung von Radio RT 4 ganz weit vorne. Das war ein neuer Geschäftsbereich, der auf einem weißen Blatt Papier entstanden ist. Die erste Sendung, die ersten Live-Konzerte, neue Leute kennenlernen – an diese Pionierzeit denke ich sehr gerne zurück. Oder daran, dass wir im Jahr 2000 nach mehrjähriger Verhandlung und Planung das Druckzentrum Neckar-Alb gegründet haben, wo Zeitungen, die im Wettbewerb stehen, in einer gemeinsamen Unternehmung zusammenkamen. Das war bundesweit ein Hammer.
Steigende Kosten, sinkende Auflagen, von der Politik im Stich gelassen: Viele Ihrer Kollegen haben deshalb ihre Zeitungen verkauft. Sie nicht. Warum?
Lehari: Weil ich und die Mitgesellschafter eine Verpflichtung gegenüber den Generationen verspüren, die den Verlag aufgebaut haben. Das Werk meiner Großeltern und Eltern gilt es weiterzuführen. Natürlich werden die Rahmenbedingungen dafür immer schwieriger, was Kooperationen nötig macht. Aber mir ist es wichtig, einen Weg zu finden, dass eine hier verwurzelte Familie Verantwortung für Verlag, Leser und Gesellschaft übernimmt. Der GEA ist für mich eine Herzenssache.
ZUR PERSON
Valdo Lehari (71) ist seit 2010 alleiniger Verleger und Geschäftsführer des Reutlinger General-Anzeigers. Er ist zweifacher Familienvater und Jurist. Nach seinem Jura-Studium verbrachte er mehrere Jahre mit wissenschaftlichen Tätigkeiten an der Stanford University, USA. Danach war er Assistent der Geschäftsführung beim General-Anzeiger Bonn. 1985 wurde er Mitglied der GEA-Geschäftsleitung. (GEA)
Werden Ihre Kinder einmal in Ihre Fußstapfen treten?
Lehari: Wenn meine Kinder im Unternehmen Verantwortung übernehmen möchten, dürfen sie das und ich freue mich darüber. Aber ich mache da keinen Druck, denn ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Familie hohe Erwartungen hat.
Worauf legen Sie als Verleger am meisten Wert – gute Geschichten, Geldverdienen, oder den Bürgern eine Stimme zu geben?
Lehari: Es ist eine Kombination aus allem. Wenn man in schwierigen Zeiten eine wirtschaftliche Stabilität erreicht, dann freut mich das natürlich. Das ist auch die Voraussetzung dafür, dass die Zeitung fortbesteht und gute Geschichten liefern kann. Glücklich macht mich auch, wenn wir nah an den Menschen dran sind und abbilden, was sie bewegt.
Was hilft Ihnen bei all den Heraus-forderungen abzuschalten?
Lehari: Wenn ich mit meiner Frau und meinen Kindern Zeit verbringe, ins Ausland gehe, dann kann ich abschalten. Auch wenn man es mir vielleicht kaum glaubt, in meiner Freizeit kann ich wirklich auch mal nichts tun. (GEA)