REUTLINGEN. Die Reutlinger Straßenbahn ist seit 45 Jahren Geschichte. Einen Teil davon kann man sich jetzt im Internet kaufen. Bei »ebay Kleinanzeigen« wird seit Montag ein grüner Triebwagen mit der Nummer 53 angeboten. Für stolze 27.500 Euro. Keine Miniatur, sondern ein echtes Fahrzeug in voller Größe. Die Tramm ist mit Kupplung neuneinhalb Meter lang und wiegt 13 Tonnen.
Der Hinweis »Versand möglich« wirkt angesichts dieser Zahlen fast schon wie ein Scherz. Doch es ist keiner, bestätigt André Winter dem GEA. Zusammen mit seinen Brüdern Marcel und Pierre betreibt er einen Antiquitäten- und Fahrzeughandel. Wer sich die Ware liefern lassen will, muss ordentlich in die Tasche greifen. Zusätzlich zum Kaufpreis werden für den Transport im Umkreis von 50 Kilometern, der genehmigt werden muss, nochmal 4.000 Euro fällig. »Darin inbegriffen sind Mietgebühren für einen Kran und einen Tieflader«, sagt Winter.
Meistens verkaufen er und seine Brüder Lastwagen-Oldtimer, große Baumaschinen oder Traktoren. Eine Straßenbahn hatten sie noch nie im Angebot. Dementsprechend schwer sei es gewesen, einen Preis für das Objekt festzulegen, sagt Winter. Dass die veranschlagten 27.500 Euro zu hoch angesetzt sind, glaubt er nicht. »Wir finden bestimmt einen Käufer«, sagt er mit Verweis auf die 1.500 Personen, die das Inserat seit gestern bereits angeklickt haben. Außerdem habe es schon einige Kontaktanfragen gegeben. Die meisten der Interessenten planen, den Triebwagen 53 zu restaurieren und gastronomisch zu nutzen. Ein Vorhaben das ihm schon einmal zugedacht war.
Der Reutlinger Gastronom Ralf Mädler, der das Bistro »Alexandre« und das Restaurant »Herrmanns« betrieb, kaufte das Stück im Jahr 2006. Im Ratskeller, den er zu einem schwäbischen Speiselokal umbauen wollte, sollte die Straßenbahn zusammen mit einem Beiwagen als gastronomisches Element dienen. Doch dazu kam es nicht. Die Sanierung des Gebäudes erwies sich als zu teuer, das Vorhaben platzte und die Tram verschwand von der Bildfläche. Bis jetzt.
Die Brüder Winter wollen zwar nicht verraten, woher sie ihr Verkaufsobjekt haben, allerdings besteht keinen Zweifel daran, dass es sich um das 2006 nach Reutlingen zurückgekehrte Stück handelt. Der Triebwagen ist der einzige »überlebende« Ursprungstriebwagen der städtischen Straßenbahn Reutlingen – Altenburg. Alle anderen Wagen wurden nach der Stilllegung der Linien 3 und 4 im Jahre 1970 verschrottet, sagt Bernhard Madel dem GEA und ergänzt: »Ein vergleichbarer Wagen mit der Nummer 29 wird aktuell vom Pfullinger Brauchtumsverein restauriert.« Während seiner Studentenzeit war Madel bis 1970 vier Jahre lang als Aushilfsschaffner tätig, seit 35 Jahren trägt er Bilder, Dokumente und andere Hinterlassenschaften der Reutlinger Straßenbahn zusammen und gilt bei diesem Thema als ausgewiesener Fachmann.
Seinen Aussagen zufolge wurde der Triebwagen 53 im Jahr 1928 in der Maschinenfabrik Esslingen gebaut und fuhr vom 1. August des selben Jahres an auf der Strecke Reutlingen – Altenburg, später auch nach Orschel-Hagen. Am 4. November 1974 trat er die letzte Fahrt an – nachdem er etwa 1,4 Millionen Kilometer Gleis gesehen hatte. Am Südbahnhof soll er dann auf einen Eisenbahnwagen verladen worden sein, der ihn in die Nähe von Wuppertal brachte, wo Straßenbahnfreunde der Bergischen Museumsbahnen eine stillgelegte Strecke als Museumsbahn wieder aufbauten. Dort blieb er, bis er vor 14 Jahren den Weg zurück in die Heimat fand.
Dass dieses Stück Reutlinger Straßenbahngeschichte jetzt im Netz verkauft wird, hält Madel für eine schlechte Nachricht. »Leute, die das kaufen, weil sie es toll finden, stellen das zwei Jahre ins Freie und dann ist es hinüber. Wenn man sich nicht fachmännisch um solche Straßenbahnwagen kümmert und sie nicht in einer Halle unterbringt, haben sie keine Chance«, sagt er. Madel würde sich stattdessen wünschen, dass der Triebwagen im Reutlinger Industriemuseum ausgestellt wird. Das sei der richtige Platz für dieses Unikat. (GEA)