REUTLINGEN. Die Kreisvereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) hat am gestrigen Totensonntag zur alljährlichen Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus’ und der braunen Gewalt geladen. In der Aussegnungshalle des Friedhofs Unter den Linden beklagte Hauptrednerin Ilse Kestin, die Landessprecherin der VVN-BdA Landesvereinigung Baden-Württemberg, dass der Krieg Putins gegen die Ukraine Ausmaße angenommen habe, die mittlerweile ganz Europa bedrohten, nicht nur wegen der atomaren Komponente.
In so einer Konfliktlage zu eskalieren, sei »selbstmörderisch«. Das Selbstverteidigungsrecht der Ukrainer stehe außer Frage. »Aber mehr Waffen zu liefern, bedeutet nicht, dass es zu einem schnelleren Ende des Krieges kommt.« Die russische Invasion stelle eine klare Verletzung der UN-Charta dar, sei eindeutig völkerrechtswidrig. Aber sie war nach Auffassung der Rednerin »nicht anlasslos, sondern nur die furchtbare Konsequenz aus einer gescheiterten Diplomatie des Westens mit Russland«. Es sei nie um Interessenausgleich gegangen, sondern um geopolitische Interessen sowohl Russlands als auch des Westens in der Ukraine und um die Schwächung Russlands, behauptete sie und weiter: »Daher lag Frieden bisher nicht im westlichen Interesse«. Die Landessprecherin forderte alle westlichen Regierungen auf, auf Russland einzuwirken, in Friedensverhandlungen einzutreten. An die Moskauer Regierung richtete sie die Forderung, einem sofortigen Waffenstillstand zuzustimmen, die territoriale Integrität der Ukraine wiederherzustellen und den Weg für einen sofortigen Beginn von Friedensverhandlungen möglich zu machen. Die Bundesregierung solle indes Rüstungsausgaben und -exporte reduzieren und all ihr Handeln auf eine diplomatische Konfliktlösung konzentrieren. Sofortige Waffenruhe forderte sie auch im Gaza-Streifen und eine »friedliche und gerechte Zukunft für Israel und Palästina« mittels Zweistaatenlösung. Stattdessen beobachte man aber eine »neue erschreckende Eskalation, nicht nur in Israel und Gaza.« Deutschland habe eine besondere Verantwortung Israel gegenüber, mahnte Kestin. Kritik an der militanten Siedlungspolitik sei jedoch »möglicherweise nicht antisemitisch, sondern konstruktiv«.
»Frieden lag bisher nicht im westlichen Interesse«
Grußworte sprachen der stellvertretende DGB-Kreisverbandsvorsitzende Neckar-Alb-Obere-Donau Tobias Kaphegyi, die Reutlinger Stadträte Jaron Immer (Grüne und Unabhängige) und Rüdiger Weckmann (Die Linke) und jeweils ein Vertreter von OTFR (»Offenes Treffen gegen Faschismus und Rassismus«) Tübingen und Rosa (Zelle, Reutlingen).
Auch der Reutlinger Oberbürgermeister Thomas Keck lauschte den durchaus umstrittenen Thesen der Hauptrednerin zum Ukraine-Krieg und schritt dann zur Kranzniederlegung neben Thomas Ziegler – der ehemalige Reutlinger Stadt- und Kreisrat leitete als Kreisvorstand der VVN-BdA die Gedenkfeier. (eg/igl)