REUTLINGEN. Eloquent, kurzweilig, mit Headset und viel Gestik: Als Redner ist Sven Gábor Jánszkys eine Mischung aus Fernsehprediger und Hamburger Fischmarkt-Schreier. Auch Zuhörer, die keinen Gräten mögen, bleiben stehen und hören gebannt zu. Der Mann auf der Bühne der Reutlinger Kreissparkasse preist am Mittwochabend allerdings keine Makrelen an. Er bietet Prognosen feil. Und verkauft Zukunft als Verheißung.
GEA-Lokal-Chef Roland Hauser begrüßt im voll besetzten Foyer den Gründer des »2b Ahead Think-Tanks«, der sich »größtes unabhängiges europäisches Trendforschungsinstitut« nennt. Auf Einladung von Kreissparkasse, Katholischer Bildung und Reutlinger General-Anzeiger soll er im Vorfeld der »Reutlinger Mobilitätstage« über »Mobilität 2030« referieren und noch mal richtig Lust auf Zukunft machen.
»Technologie setzt sich nur durch, wenn sie Nutzen stiftet«
»Nie mehr sinnlos am Steuer hängen«: Für den 46-jährigen Zukunftsforscher wird das autonome Fahren schon bald die Hauptfortbewegungsart. Wenn sie im Mitfahrmodus und mit Werbeberieselung genutzt wird, ist sie zudem nahezu kostenlos. In adaptiven Innenräumen können die Fortbewegten lesen, schlafen oder lernen und verlieren keine Zeit mehr durch Mobilität.
Das Verkehrsaufkommen wird laut Referent nicht geringer. Es gibt aber weniger Fahrzeuge, die in der Stadt herumstehen. Freiräume entstehen. Der private Autobesitz nehme ab. »Autos, die man nicht selber fährt, kauft man auch nicht mehr.« Klassische ÖPNV-Angebote wie Stadtbahn oder Busse stehen in Konkurrenz zu den autonomen Taxi-Angeboten und verlieren an Bedeutung. Der ÖPNV ist teuer und bietet nur Fahrpläne, keine adaptiven Angebote.
Nonchalant geht der Referent über den Arbeitsauftrag weg, sich mit der Reutlinger Mobilität zu beschäftigen. Auch sonst schweift er gern ab: Zu verlockend ist seine schöne neue Welt, um sich mit nur einem Thema zu beschäftigen.
Denn nicht nur die Mobilität wird laut Jánszky in der Zukunft angenehmer. »Wir leben besser, gesünder und länger, können uns besser verwirklichen.« Und deshalb verbreitet der Mann auf der Bühne richtig gute Laune. Weil er daran glaubt, dass Fortschritt gut ist. Immer schon gut war. Die »Dichter und Denker«, das sind in seiner Theorie die Menschen mit schlechter Laune, die Angst vor Altersarmut und Künstlicher Intelligenz haben.
»Technologie setzt sich nur durch, wenn sie Nutzen stiftet«, so sein Credo. Deshalb gelte es, offen zu sein für technischen Fortschritt und daran zu glauben, dass er die großen Probleme wie Klimawandel, Armut oder Hunger löst. Und dass Künstliche Intelligenz zum Nutzen und Frommen des Menschen eingesetzt werden kann – auch wenn der Schöpfer der KI irgendwann mal dümmer ist als seine Maschine.
Der Zukunftsexperte spricht von Bots – künstliche Assistenten –, die sich ins Gegenüber einarbeiten. Der Bot macht Friseurtermine für sein Herrchen. Und kann schließlich bessere Antworten geben als ein Mensch. Er redet von Software, die auf Röntgenbildern Brustkrebs besser erkennt als jeder Arzt: »Wem vertrauen Sie? Wem schicken Sie die Bilder?«, fragt der Redner rhetorisch ins Publikum.
Das »Gold« dieser Zukunft seien Echtzeit-Daten, die aktuelle Zustände wiedergeben. Und noch besser: Prognosedaten, die der Echtzeit voraus sind. Beispiel Verkehr: Ein Programm warnt davor, auf eine bestimmte Strecke zuzufahren, weil das System errechnet hat, dass sie in 45 Minuten verstopft sein wird.
Mit dem nächsten Generationenwechsel kämen die Quantencomputer. Sie lieferten die Hardware für die neue Welt.
Von der Einbruchwahrscheinlichkeit bis zum Krebsrisiko: The Prediction of everything, die Voraussage von allem, heiße das Versprechen der Digitalisierung, alles messen, alles prognostizieren, alles optimieren ist der Fahrplan.
»Was ist unmenschlich?«, fragt sich der Referent. »Dass der Mensch sich der Unfairness der Natur unterwirft? Oder dass er die Natur korrigieren will?« Sein heute dreijähriger Sohn Benneth wird mindestens 100 Jahre alt, prognostiziert der Vater. Genom-Analyse, Gen-Reparatur, Ersatzteil-Lösungen für den Körper, Medical Food: Angebote, die laut Jánszky teils im kommenden Jahrzehnt längst im Massenmarkt zu haben sind, werden ihm dabei helfen.
Das Fernziel ist groß, aber gesetzt: Leben verlängern. Auch durch die Reduktion von Zeitverlusten. Der Mensch sucht die Annäherung an die Unsterblichkeit. Jánszky streift geschmeidig ethische Komplikationen. Man könne Fragen stellen wie: »Ist etwas normal«, »natürlich«, »menschlich«? Man könne aber auch fragen: »Ist etwas nützlich«, »schädlich« und »hat es Nebenwirkungen«? »Welchen Katalog nutzen Sie? «, fragt er die Zuhörer. Neue Hochtechnologie komme schon in den nächsten Jahren aus dem Fernen Osten, warnt der Redner. Etwa von datensammelwütigen Chinesen. Sie speisten in ihre Künstliche Intelligenz die Daten von 1,4 Milliarden Menschen ein. Der Zukunftsforscher rät dringend, europäische Künstliche Intelligenz zu entwickeln, die europäische Werte trägt.
Zukunftsforschung ist seriös, eine Wissenschaft, beteuert Sven Gábor Jánszky. Seine Erkennnisse bezieht er aus Gesprächen mit den Entscheidern dieser Welt in den wichtigsten Unternehmen. Wenn sie keine gut bezahlten Vorträge halten, coachen Jánszky und seine Kollegen Unternehmen bei zukunftsträchtigen Entscheidungen.
»Technologie nutzen, um weiterzukommen oder die Evolutionstaste auf Stopp drücken?« Jánszky warnt zum Abschluss erneut vor Bange-Machern. So kursierten Zahlen, dass der Fortschritt in den kommenden Jahrzehnten die Hälfte der Arbeitsplätze koste. In den nächsten Jahren stehe die Massenverrentung der Babyboomer an, rechnet der Zukunftsforscher dagegen.
Ab 2040 nehme die Künstliche Intelligenz dann tatsächlich Arbeitsplätze weg. Bis dahin müsse man sich Gedanken machen. Ersetzt würden dann Routinejobs, aber auch Wissensberufe wie Lehrer, Juristen, Journalisten – und Zukunftsforscher. (GEA)