REUTLINGEN/MÜNSINGEN. Priorität hat das Landschaftsbild: Flächensolaranlagen will die Stadt Hayingen nur dort zulassen, wo sie aus Wohngebäuden (einschließlich Aussiedlerhöfen) nicht sichtbar sind und wo sie die Schönheit der Landschaft nicht beeinträchtigen. Auch in Trochtelfingen oder Münsingen wird darüber diskutiert, wie viele Flächen unter welchen Voraussetzungen für den Sonnenstrom vom Feld zur Verfügung gestellt werden können. Andere Gemeinden beschäftigt aktuell mehr das Thema Windkraft: In Gomadingen und anderen Kommunen auf der Alb wird über den geplanten Bau von Windkraftanlagen derzeit wieder heftig diskutiert. Vorhaben im Staatswald werden konkret. Und das windkraftkritische Bündnis »Rettet die Alb« macht vor der Bundestagswahl mit einer Plakataktion mobil.
Während auf der lokalen Ebene die Windkraft- oder Solarprojekte also nicht nur auf Gegenliebe stoßen, wird auf Landes- und Bundesebene der Ausbau erneuerbarer Energien weiterhin forciert. Nach einer aktuellen Übersicht des Umweltbundesamts ist ihr Anteil am Bruttostromverbrauch von 6,3 Prozent im Jahr 2000 auf 45,4 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ging insgesamt in den vergangenen zehn Jahren der Stromverbrauch in Deutschland zurück. Im Jahr 2020 sei in der Bundesrepublik ungefähr so viel Strom verbraucht worden wie 1990, meldete das Umweltbundesamt, nämlich knapp 560 Terawattstunden (TWh). Und schränkte gleichzeitig ein: Der vergleichsweise deutliche Rückgang im vergangenen Jahr könne auch durch die Corona-Krise beeinflusst sein. Strom zu sparen ist seit 2010 ein Ziel der Bundesregierung, die in ihrem Energiekonzept bis 2020 eine Reduktion um zehn Prozent im Vergleich zum Jahr 2008 angepeilt hatte. Denn das Jahr 2007 war bislang dasjenige mit dem höchsten Stromverbrauch: 625 Terawattstunden. Eine Terawattstunde entspricht einer Milliarde Kilowattstunden.
Allerdings: Dieser Strom-Sparkurs wird sich wohl nicht fortsetzen lassen. Eine aktuelle Studie des Bundeswirtschaftsministeriums geht vielmehr davon aus, dass der Stromverbrauch in den nächsten zehn Jahren um fast zwanzig Prozent steigen könnte. 2030 würden danach 645 bis 665 Terawattstunden gebraucht. Das liegt nicht zuletzt am weiteren Ausbau der Elektromobilität, die den Stromverbrauch insgesamt steigen lässt. Aber auch beispielsweise für die Produktion von Wasserstoff wird in Zukunft mehr Strom benötigt, so die Prognosen der Wirtschaftsfachleute.
In dieser letzten Folge des GEA-Kandidaten-Checks nehmen die Bewerber zum Spannungsfeld zwischen Strombedarf und Energiewende Stellung. (GEA)
Michael Donth (CDU)
Wir werden den weiter steigenden Strombedarf durch den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien decken können. Dieser ist zentral für eine sichere, umweltverträgliche und wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft. Dazu wird Deutschlands Energieversorgung grundlegend umgestellt. Weg von der Atomkraft und fossilen Brennstoffen, hin zu erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz. Auf diesem Weg haben wir schon einiges erreicht: Im ersten Quartal dieses Jahres stammten bereits 51,4 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien.
Doch je mehr sich unser Strom aus wetterabhängigen Energiequellen wie Wind und Sonne speist, desto mehr schwankt auch die Einspeisung in das Stromnetz. Der moderne Strommarkt begegnet dieser Herausforderung: Mit ihm wird auch bei hohen Anteilen von erneuerbaren Energien eine sichere, kostengünstige und umweltverträgliche Versorgung mit Strom stets gewährleistet.
Wichtig für uns ist dabei, dass auch in Zeiten von hoher Nachfrage ausreichend Erzeugung vorhanden ist. Das muss auch in Zukunft unser Ziel sein. Trotzdem werden wir auch zukünftig zusätzlich Energie aus dem Ausland beziehen müssen, allerdings dann eben verstärkt aus erneuerbaren Energiequellen.
Dr. Ulrich Bausch (SPD)
Unser Strom muss schnellstmöglich vollständig aus erneuerbaren Energien produziert werden. Der Strombedarf wird erheblich steigen, um fossile Energieträger ersetzen zu können. Allein bis 2030 brauchen wir jährlich ungefähr 10 Terawattstunden (TWh) Strom zusätzlich – das entspricht dem Stromverbrauch von Hamburg.
Wir brauchen deshalb ein Jahrzehnt des entschlossenen Ausbaus der erneuerbaren Energien. Dafür müssen jetzt die richtigen Entscheidungen getroffen werden: Beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Digitalisierung der Stromnetze, bei der Steigerung der Energieeffizienz, beim Aufbau von Speichertechnologien und einer Wasserstoffproduktion sowie eines Transportnetzes, bei Investitionen in klimafreundliche Produktionsprozesse in der Industrie, bei der Modernisierung von Wohngebäuden, Fabriken und Schulen.
Wir wollen dafür sorgen, dass alle dazu geeigneten Dächer eine Solaranlage bekommen. Unser Ziel ist eine Solaranlage auf jedem Supermarkt, jeder Schule und jedem Rathaus. Überall, wo es möglich ist.
Beate Müller-Gemmeke (Bündnis 90/Grüne)
Natürlich mit erneuerbaren Energien – der Ausbau geht aber gerade viel zu langsam. Im aktuellen Tempo bräuchten wir noch 56 Jahre, um auf 100 Prozent Ökostrom zu kommen. Die Zeit haben wir nicht. Die Erneuerbaren sind zentral für mehr Klimaschutz und eine wettbewerbsfähige Industrie.
Deshalb starten wir direkt nach der Bundestagswahl eine Ausbauoffensive: Wir werden bei der Solarenergie die Ausbauziele für 2022 auf 12 Gigawatt pro Jahr und beim Wind an Land auf 6 Gigawatt pro Jahr erhöhen. Auf unseren Dächern soll Solar zum Standard werden, und zwar beim Neubau, bei öffentlichen Gebäuden und bei Sanierungen.
Die Flächenplanung für Windkraft werden wir gesetzlich so anpassen, dass zwei Prozent der Landesfläche für Wind bereitstehen. Bundesländer können nur nach unten abweichen, wenn andere Bundesländer mehr Flächen bereitstellen. Gleichzeitig werden wir den Ausbau der Offshore-Windenergie in Nord- und Ostsee beschleunigen. Außerdem wollen wir einen Bürgerenergiewende-Fonds auflegen, über den die anfänglichen Kosten für die kleinen Akteure abgesichert werden. Damit stärken wir bürgernahe Projekte und schaffen zugleich mehr Akzeptanz für die Energiewende.
Pascal Kober (FDP)
Der Umstieg auf Klimaneutralität wird zu steigendem Strombedarf führen. Die Höhe des zukünftigen Bedarfs können wir aber nicht sicher vorhersagen. Schon heute werden 70 Prozent des Energieaufkommens durch importierte Energieträger gedeckt. Für uns ist deshalb ein internationaler CO2-Deckel ein entscheidendes Ziel, um die Pariser Klimaziele erreichen zu können.
Mit dem Deckel wird die maximale CO2-Ausstoßmenge festgelegt. Der Handel der verbleibenden Menge sorgt schnell für einen Anreiz bei Unternehmen, klimaschonende Technologie einzusetzen, zu entwickeln und zu produzieren. Neben dem schleppenden Ausbau der Stromtrassen haben wir das Problem der Speicherbarkeit von Strom.
Wir müssen daher offen Energiegewinnung und Speichermöglichkeiten debattieren. Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe haben diesbezüglich große Vorteile. Sie sind Energiespeicher und können durch Dunkelflauten – keine Sonne, kein Wind – helfen. Und sie können weltweit in energiereichen Regionen hergestellt und leicht transportiert werden. So sieht das RWE-BASF-Leuchtturm-Projekt »Offshore-to-X« vor, dass 20 Prozent des vom Windpark erzeugten Stroms in die Herstellung von grünem Wasserstoff fließen.
Hansjörg Schrade (AfD)
Gute Frage! Mehr als heute durch den steigenden und teuren Import von Strom, der dann aus den Atomkraftwerken (AKW) der Nachbarländer kommt. Die Ausgaben für Stromimport haben sich in nur fünf Jahren im ersten Halbjahr von 131 Millionen Euro in 2016 auf 985 Millionen in 2021 mehr als versiebenfacht! Wenn wir meinen, aus Atom und Kohle aussteigen zu können, ist das ideologiegetriebener Realitätsverlust im Endstadium, die Rechnung dafür wird sehr teuer werden.
Die Realität: Weltweit sind über 440 AKW in Betrieb, allein China, Russland und Indien planen 82 neue. Deutschland steht mit seinem Atomausstieg allein auf weiter Flur, von Vorbildwirkung ist nichts zu sehen. Wir schalten die sichersten AKW der Welt ab und kaufen den Strom dann teuer aus den Mehr-oder-weniger-Schrottmeilern der Nachbarn (Temelin in Tschechien, das älteste in Betrieb stehende Kernkraftwerk der Welt Beznau 1 in der Schweiz, Fessenheim und Cattenom als Vertreter der 58 französischen Meiler, Tihange in Belgien). Die Kosten der Energiewende werden von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) auf über 500 Milliarden Euro in den Jahren 2000 bis 2025 geschätzt,
18.000 Euro für eine vierköpfige Familie allein in den nächsten zehn Jahren.
Jessica Tatti (Linke)
In den kommenden zwanzig Jahren stehen wir vor der Anstrengung, das Stromnetz auf eine nicht-fossile Energiegewinnung umzustellen, Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke nach und nach abzuschalten und durch Wind-, Wasser- und Solarkraft zu ersetzen. Wahrscheinlich muss maßvoll ergänzend grüner Wasserstoff importiert werden, der zum Beispiel durch Solarkraft in Wüsten gewonnen wird und hier in energieintensiven Industrien eingesetzt wird.
Damit das klappt, brauchen wir mehr Strom durch Offshore-Windparks auf der See, kleine und dezentrale Anlagen wie Solar-Paneele auf Wohn- und Industriegebäuden sowie die entsprechenden Stromtrassen und Energiespeicher für Flautezeiten.
Zugleich werden wir, wo immer möglich, den Energieverbrauch senken müssen: Statt einer Erhöhung der Strompreise für private Endverbraucher braucht es die Umstellung auf eine echte Kreislaufwirtschaft, in der Ressourcen wiederverwertet werden. Es braucht Gebäudedämmungen, Energierückgewinnung in der Industrie und langlebige Produkte. Dafür sind verbindliche Standards und finanzielle Hilfen nötig, etwa bei der Gebäudesanierung und durch eine Öko-Abwrackprämie für Haushaltsgeräte.