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Aktuell Gesellschaft

Reutlinger Austausch über Neurodiversität: Herausforderungen besser verstehen

Im Augustin-Bea-Haus ging es um die Sensibilisierung für die alltäglichen Herausforderungen von Menschen mit unsichtbaren Beeinträchtigungen

Die Umwelt ist für Kinder, beispielsweise mit der Diagnose Asperger-Autismus, laut und anstrengend. Sie benötigen viel Rückzug und liebevoll gebotene Struktur im Alltag. Foto: AdobeStock_79972307/dubova
Die Umwelt ist für Kinder, beispielsweise mit der Diagnose Asperger-Autismus, laut und anstrengend. Sie benötigen viel Rückzug und liebevoll gebotene Struktur im Alltag.
Foto: AdobeStock_79972307/dubova

REUTLINGEN. Manche Menschen können die zahlreichen Reize, die im Alltag auf sie hereinprasseln, nicht gleichermaßen verarbeiten. Die Gründe sind vielfältig, macht aber das Miteinander kompliziert. Sensibilisierung für diese alltäglichen Herausforderungen von Menschen mit unsichtbaren Beeinträchtigungen, darum ging es kürzlich im Augustin-Bea-Haus in Reutlingen. Geladen hatte der Beirat Selbsthilfe der Inklusionskonferenz im Landkreis Reutlingen in Kooperation mit dem Verein Autismus verstehen und der Selbsthilfegruppe Psychiatrie-Erfahrener Reutlingen.

»Wir wollen Bewusstsein schaffen und mit Betroffenen ins Gespräch kommen, damit wir tatsächlich wissen, was notwendig ist, um Barrieren abzubauen«, betonte Landrat Dr. Ulrich Fiedler. Das unterstrich auch Dr. Gottfried Maria Barth, stellvertretender ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter in Tübingen in seinem Gastvortrag. Ob psychische Beeinträchtigung, Autismus, ADHS oder Depressionen, es reichen oft Menschenansammlungen, Berührungen, Gerüche, gewisse Lärmpegel oder Lichtflut, um Reizüberforderung auszulösen. Neurodiversität ist eine qualitativ veränderte Sensorik. »Letztendlich sind alle Menschen neurodivers, denn jeder verarbeitet Wahrnehmungen anders.«

Anspannung und Erschöpfung

Vor allem Menschen im Autismus-Spektrum haben im Alltag ein permanent erhöhtes, inneres Erregungsniveau, das von Anspannung schnell in Erschöpfung enden kann. Das Wissen darum hat in jüngster Zeit für einen neuen Blick auf die Autismus-Entwicklungsstörung gesorgt. Mit Bewusstsein, Verständnis und Toleranz ist Teilhabe möglich. Das wünschten sich auch die Teilnehmer, die mit Barrieren konfrontiert sind.

In Workshops wurden in mehreren Gruppen wichtige Herausforderungen und Veränderungsimpulse erarbeitet. Themen wie Ängste, Mobbing, Ansprechpartner bei der Arbeit, Offenheit, Früherkennung und Rücksichtnahme standen genauso im Fokus wie die Möglichkeit der Hilfe und Vernetzung. Mit »Stillen Stunden« in Geschäften und Kopfhörern zur Lärmminderung ist nicht alles getan. Aufklärung ist das A und O. Gut gemeint und doch ein Dilemma sind auch manchmal die Formen der Unterstützung. Schaut ein Mensch im Autismus-Spektrum Nachrichten mit unterlegter Gebärdensprache für Gehörlose, lenkt ihn das vom Gesprochenen ab – er ist überfordert. »Man möchte jedem gerecht werden, aber das ist schwierig«, so das Fazit.

Eine defizitorientierte Gesellschaft sieht in erster Linie die Probleme und weniger die Stärken, die jeder Mensch hat und einbringen kann. Dieses Bewusstsein zu schaffen ist eine wichtige Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. »Wir wollen gemeinsam ein Zeichen setzen und deutlich machen, dass niemand alleine ist mit den durch nicht sichtbare Beeinträchtigungen bedingten Herausforderungen im Alltag« brachte es Susanne Blum, Leiterin der Geschäftsstelle Inklusionskonferenz, auf den Punkt. (eg)