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Aktuell Polizei-Einsatz

Reichsbürger-Razzia: Gegen Reutlinger wird wegen versuchten Mordes ermittelt

Bei einer Razzia in der Reichsbürgerszene in Reutlingen wird ein Polizist angeschossen. Beamte nehmen den Schützen fest und sperren das Gebiet weiträumig ab. Die Behörden geizen zunächst mit Informationen, im Internet entstehen wilde Gerüchte.

Ein Mitarbeiter des Bundeskriminalamts trägt eine Kiste. Bei einer Durchsuchung im Auftrag der Bundesanwaltschaft ist im baden-württembergischen Reutlingen ein Beamter eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) durch einen Schuss verletzt worden. Foto: Marijan Murat/dpa
Ein Mitarbeiter des Bundeskriminalamts trägt eine Kiste. Bei einer Durchsuchung im Auftrag der Bundesanwaltschaft ist im baden-württembergischen Reutlingen ein Beamter eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) durch einen Schuss verletzt worden.
Foto: Marijan Murat/dpa

REUTLINGEN. In der Reutlinger Ringelbachstraße hat es am frühen Mittwochmorgen einen großen Polizeieinsatz gegeben. Auch vermummte Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) waren vor Ort. Grund für den Einsatz war eine Großrazzia in der Reichsbürgerszene. Es gab Durchsuchungen in mehreren Bundesländern und dem Ausland. 19 Personen waren betroffen. Bei fünf Personen besteht der Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Diese leben in München, der Region Hannover, Chemnitz und der Schweiz. Die anderen 14 galten zuvor nicht als Beschuldigte, berichten mehrere Medien, sondern als Zeugen. Sie seien offenbar in Chats aufgetaucht. So auch der Reutlinger Markus L. Doch problemlos läuft die Durchsuchung in der Achalmstadt trotzdem nicht ab.

Nachbarn hören lauten Knall

Der Einsatz beginnt in den frühen Morgenstunden. Ein Anwohner in einer Nebenstraße, der an diesem warmen Märzmorgen etwas ratlos im Garten seines Hauses steht, berichtet dem GEA, dass er gegen 6 oder 6.15 Uhr einen Knall gehört habe. Die zuständige Bundesanwaltschaft in Karlsruhe bestätigt am Vormittag zunächst nur, dass bei der Razzia ein Schuss gefallen ist. Ein Mann habe auf einen SEK-Beamten geschossen und diesen dabei verletzt. Der Schütze wurde festgenommen, der Polizist wird medizinisch versorgt. Er sei wohl nicht lebensgefährlich verletzt, sagt Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl. Das ist dann aber zunächst auch alles, was Polizei und Bundesanwaltschaft zum Fall preisgeben.

Reporter werden an allen Straßen, die zum Tatort führen, teilweise rüde abgewiesen. Auch ein Pressesprecher der Reutlinger Polizei, der vor Ort ist, darf den Journalisten absolut nichts sagen. Er verweist an die zuständige Bundesanwaltschaft – doch dort ist telefonisch lange kein Durchkommen. Später berichtet die Deutsche Presse-Agentur aus Insiderkreisen, dass der mutmaßliche Täter Sportschütze sei und über die Erlaubnis zum Besitz mehrerer Waffen verfüge. Unter den insgesamt 19 Menschen, bei denen am Mittwochmorgen Durchsuchungen stattfanden, seien ein Polizist und ein Angehöriger der Bundeswehr.

Wilde Gerüchte: Messerstecherei, Schießerei

Das Mauern der Polizei und das schlechte Durchkommen in Karlsruhe führt im Verlauf des Tages dazu, dass schnell wilde Gerüchte entstehen. Schülerinnen erzählen dem GEA beispielsweise, sie hätten gehört, dass es eine Messerstecherei gegeben habe. Schusswechsel, Sprengung – allerlei Schlagwörter tauchen in Social Media auf. Und dann gibt es noch die zahlreichen Nachbarn, die absolut nichts gehört haben und ratlos in ihren Gärten stehen. Auch sie wünschen sich weitere Informationen.

Ein vermummter Beamter beim Einsatz in Reutlingen. Foto: Schanz
Ein vermummter Beamter beim Einsatz in Reutlingen.
Foto: Schanz

Gegen 9 Uhr meldet die Pressestelle der Reutlinger Polizei, dass die Lage geklärt sei. Einige Minuten später fahren Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft vor. Nochmal einige Minuten später brausen mit hoher Geschwindigkeit und Blaulicht ein Kastenwagen und ein weiteres schwarzes Auto zum Tatort. Dann wird ein Roboter eingesetzt, der normalerweise bei Gefahrenlagen mit Sprengstoff oder Bomben eingesetzt wird.

Absperrung führt zu Verkehrschaos

Die weitläufige Absperrung des Gebietes führt am frühen Morgen stellenweise zu Verkehrschaos. Die TSG Reutlingen muss einige Kurse absagen, da die Polizei ihren Parkplatz benutzt. Ebenfalls vor Ort im Ringelbach: Oberbürgermeister Thomas Keck. Er berichtet, dass er morgens durch eine Nachricht von Ordnungsamtschef Albert Keppler von der Razzia erfahren habe. Der Stadtverwaltung seien zwar »ein paar Personen« mit Reichsbürgerbezug in Reutlingen bekannt, allerdings »bislang nicht militant«.

Am Nachmittag veröffentlicht die Bundesanwaltschaft schließlich weitere Informationen. »Markus L. lehnt die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ab«, heißt es in einer Pressemeldung. Ein Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Reutlingers liegt demnach vor.

Ermittlung wegen versuchten Mordes

Beim Eintritt in die Wohnung des Beschuldigten hätten sich die Einsatzkräfte durch mehrfaches lautes Rufen als Polizisten zu erkennen gegeben. »Sie trafen Markus L. im Wohnzimmer an, wo er bereits eine großkalibrige Schusswaffe auf die Beamten gerichtet hatte.« Der wiederholten Aufforderung, die Waffe wegzulegen, sei er nicht gefolgt. »Es kam zu einem Schusswechsel zwischen den Einsatzkräften und dem Beschuldigten.« Dabei sei ein Polizeibeamter von einem Schuss des Beschuldigten in den Arm getroffen worden.

Das Gebiet um den Tatort herum ist weiträumig abgesperrt. Foto: Schanz
Das Gebiet um den Tatort herum ist weiträumig abgesperrt.
Foto: Schanz

Weiter heißt es: »Nachdem er sich ergeben hatte, wurde Markus L. vorläufig festgenommen.« Die Bundesanwaltschaft habe beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs einen Haftbefehl beantragt. Der Beschuldigte werde noch am Mittwoch dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt werden, der über den Erlass des Haftbefehls und den Vollzug der Untersuchungshaft entscheiden werde. Gegen den Reutlinger »besteht der dringende Verdacht des mehrfachen versuchten Mordes sowie der gefährlichen Körperverletzung.«

Weitere Einsätze in der Region

Auch an weiteren Orten in der Region gibt es an diesem Mittwochmorgen Einsätze, die offenbar mit der Reichsbürgerrazzia in Verbindung stehen. In Pliezhausen landet gegen 9 Uhr ein Polizeihubschrauber. Später hebt er wieder ab. Im Industriegebiet Mahden bei Altenburg, in der Steigäckerstraße, gibt es zur Mittagszeit dann einen Polizeieinsatz, offenbar ebenfalls eine Durchsuchung. Die Reutlinger Polizeipressestelle verweist wieder an die Bundesanwaltschaft. Von dort ist nur zu erfahren: Es gab weitere Durchsuchungen in Baden-Württemberg im Raum Tübingen, Rottweil und Stuttgart.

Die Razzien an diesem Mittwoch stehen im Zusammenhang mit großen Reichsbürger-Razzien im Dezember. Damals waren auch im Kreis Tübingen drei Reichsbürger festgenommen worden. »Reichsbürger« sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Der Verfassungsschutz rechnete der Szene der »Reichsbürger« und »Selbstverwalter« 2022 deutschlandweit etwa 23 000 Menschen zu, 2 000 mehr als im Vorjahr. (GEA)