REUTLINGEN. Seit Monaten kündigt ein handgeschriebener Zettel an der Eingangstür des »Glückskind«-Ladens in der Reutlinger Altstadt eine »vorübergehende Schließung wegen Inventur und Umstrukturierung« an. Jetzt ist klar: Der Laden für hochwertige Baby- und Kindermode macht endgültig dicht. »Nach reiflicher und reichlicher Überlegung haben wir uns entschlossen, den Store zu schließen«, verkündete Gründerin Chantal Epli Mitte jetzt mit brüchiger Stimme auf dem Instagram-Kanal des Geschäfts. »Es ist ein Stich ins Herz.«
Mit der Schließung verliert die obere Wilhelmsstraße nicht nur ein weiteres Fachgeschäft. Der Leerstand an prominenter Lage markiert auch das Ende einer Gründungsgeschichte. Diese war mit ein Grund, dass es Chantal Epli 2023 bis ins Finale der Wahl zur »Miss Germany« geschafft hat. Die 31-Jährige wurde mit ihrer Geschichte auch zu einem Werbegesicht der Reutlinger »Nur Lieben«-Imagekampagne.
Laden in Reutlingen »wie ein Baby« aufgezogen
Chantal Epli, Mutter einer achtjährigen Tochter, hatte gemeinsam mit Co-Gründerin Magdalena Münz mitten in der Corona-Pandemie den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Ihre Vision: Ein »Family Concept Store«, in dem sich nicht nur Kinder und Eltern wohlfühlen sollten, sondern auch Werte wie Nachhaltigkeit und Qualität zählen. Die Produkte – Pullis, Jäckchen, Hosen und Shirts in dezenten, geschlechtsneutralen Tönen – stammten aus kleinen Familienunternehmen in Deutschland und Portugal. Im November 2021 feierte der Laden Eröffnung. Der Traum der Unternehmerinnen ging in Erfüllung.
»Ich habe Glückskind drei Jahre lang wie ein Baby aufgezogen«, sagt Chantal Epli in ihrem Instagram-Statement. »Wir haben uns etwas Wunderschönes aufgebaut.« Doch in diesem Winter blieb der Laden von einem auf den anderen Tag geschlossen, die Schaufenster und Eingangstüren wurden mit Zeitungspapier abgedeckt. Auf dem sonst aktiven Instagram-Kanal herrschte seitdem Funkstille. Nachrichten wurden nicht mehr beantwortet, das Telefon wurde abgeschaltet. Kunden wunderten sich . Viele waren überzeugt, dass das Geschäft erfolgreich lief - und fragten sich: Öffnet der Laden wieder oder bleibt er geschlossen? Auf eine GEA-Anfrage im Februar reagierte die Inhaberin knapp: Man befinde sich in einem »Umbruch« und wolle diesen Prozess »erst mal für uns selbst gestalten«. Jetzt sagt sie: »Wir sind untergetaucht, um Luft zu holen, Pläne zu machen und um dann die richtige Entscheidung zu treffen.«
Abschied tut weh - ist aber auch Erleichterung
Nun ist klar: Der Weg führte nicht zu einem Neustart, sondern zur Aufgabe des Geschäfts. Über die konkreten Gründe äußert sich Chantal Epli nur zurückhaltend. Die »wirtschaftliche Lage« habe dem kleinen Laden schwer zugesetzt. »Es geht um wahnsinnig große finanzielle Tragweiten, die man irgendwann nicht mehr stemmen kann, egal was man tut«, erklärt sie. Auch »Dinge, die man nicht selbst in der Hand hat«, hätten zur Entscheidung beigetragen. »Wir haben bis zum Schluss gekämpft«, betont sie.
Die vergangenen Monate seien emotional sehr herausfordernd gewesen. »Die härteste Phase habe ich inzwischen hinter mir – aber es tut nach wie vor weh.« Gleichzeitig sei der Abschied auch eine Form der Erleichterung. »Ich bin dankbar für all die wundervollen Menschen um mich herum, die mich unterstützen. Und ich werde nie schlechte Gedanken an diese Zeit verlieren.«
Aktuell läuft der Abverkauf der restlichen Waren über Live-Termine auf dem Instagram-Kanal von »Glückskind«. Doch es soll auch einen persönlichen Abschied von den treuen Kunden geben: Am Donnerstag soll der Laden ein letztes Mal die Türen öffnen. (GEA)