REUTLINGEN. Reutlingen ist wieder die sicherste Großstadt in Baden-Württemberg. Bereits seit zehn Jahren belegt Reutlingen in der Kriminalstatistik den Spitzenplatz. Warum das so ist, ist schnell erklärt: Je weniger Menschen in einer Stadt leben, desto weniger Straftaten sind zu verzeichnen, zeigt der Vergleich der neun Großstädte im Land. Reutlingen ist mit etwas mehr als 115.000 Einwohnern die kleinste. Das Ergebnis der Kriminalstatistik ist so gesehen nicht sonderlich überraschend. Trotzdem hat die Nachricht in den Sozialen Medien hohe Wellen geschlagen.
Der Facebookbeitrag zu diesem Thema hat knapp 48.000 Menschen erreicht, wurde 42 Mal geteilt und mehr als 260 Mal kommentiert. Die Mehrheit der User quittiert die Meldung mit einem erstaunten oder lachenden Smiley, die Frage nach der Sicherheit in Reutlingen wird kontrovers diskutiert. Bei einer Umfrage auf dem Instagram-Kanal des GEA geben Follower an, dass sie sich am Bahnhof und in der Fußgängerzone unsicher fühlen. Für den Großteil ist jedoch der Zentrale Omnibusbahnhof (ZOB) der gefährlichste Ort der Stadt. Doch ist diese Annahme wirklich begründet? Der GEA hat bei der Reutlinger Polizei nachgefragt.
Statistisch gesehen ist der ZOB deutlich sicherer als andere Orte. Hier wurden 2019 insgesamt 134 Straftaten begangen. Zum Vergleich: Am Bahnhof hat die Polizei mit 297 Delikten fast doppelt so viele wie am ZOB registriert, in der Innenstadt sogar 887, also mehr als sechsmal so viele. Laut Pressestelle der Polizei werden Straftaten in der Kriminalstatistik auf zwölf Stadtteile, das gesondert ausgewiesene Industriegebiet Mark West und 18 Bereiche der Kernstadt, aufgeteilt. Dazu gehören auch die in der Umfrage mehrfach als Brennpunkte genannten Bereiche Innenstadt inklusive Fußgängerzone, Listpark, Bahnhof und Regionaler Omnibusbahnhof sowie ZOB und Oskar-Kalbfell-Platz.
Insgesamt dokumentierte die Polizei vergangenes Jahr 7.122 Straftaten, 209 weniger als 2018. Die Entwicklung in den 18 Bereichen der Kernstadt ist uneinheitlich. Das liegt laut Polizei, daran, dass die jeweiligen Bereiche strukturell stark differieren. Beispielsweise was die Tatgelegenheiten, Fläche, Anzahl der Bewohner und Bevölkerungsstruktur angeht. In sieben Bereichen waren vergangenes Jahr Steigerungen bei Verbrechen zu verzeichnen. In elf Bereichen ging die Kriminalität zurück. Einer davon ist der ZOB. Hier zählt die Polizei 44 Vergehen weniger, ein Rückgang um 24,7 Prozent. Während die absolute Zahl der Straftaten am Bahnhof gleich blieb, nahm sie in der Innenstadt um 52 zu, ein Plus von 6,2 Prozent. Trotzdem fühlen sich Menschen an diesen beiden Orten wohler als am ZOB, obwohl er statistisch gesehen das sicherere Pflaster ist.
Die Polizei erklärt sich das so: Weil am ZOB durch die gute Erreichbarkeit viele Leute unterwegs sind, werden kriminelle Handlungen eher wahrgenommen als an anderen Orten. Der Rückgang an Straftaten werde nicht in dem Ausmaß registriert, als dass er Ängste, die durch die Beobachtung einzelner Ereignisse entstanden sind, aufwiegen könnte. Außerdem wird der Bereich vor allem von »vielen jungen Leuten als Aufenthaltsort genutzt, darunter befinden sich auch junge Flüchtlinge.« Diese Gruppen werden »nicht nur, aber ganz besonders, wenn es zu Auseinandersetzungen kommt, von Bürgern als bedrohlich empfunden«, so die Polizei. Für das Sicherheitsempfinden der Bürger spielt es zudem keine Rolle, »dass Streitigkeiten und Schlägereien in dieser Gegend mehrheitlich innerhalb einzelner Gruppen stattfinden und eher selten ein völlig Außenstehender Opfer einer Straftat wird.«
Um die Innenstadt sicherer zu machen, zeigt die Polizei seit Frühjahr 2018 an den beschriebenen Orten, am Rande auch in der Pomologie und im Volkspark, verstärkt Präsenz in den Abendstunden. Neben zusätzlichen eigenen Kräften sind auch immer wieder Beamte der Bereitschaftspolizei und der Reiterstaffel eingebunden. Mit den Einsätzen und den Kontrollen verfolgen die Beamten nach eigenen Angaben das Ziel, Kriminalität - insbesondere auch Drogendelikte - einzudämmen. Auch das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung soll dadurch gestärkt werden. Doch diese Kontrollen, die oft rein präventiven Charakter haben, werden natürlich auch von der Bevölkerung wahrgenommen, was manche zusätzlich beunruhigen könnte. (GEA)