REUTLINGEN. Die Stimme klingt gedämpft, der Gesichtsausdruck ist nicht zu sehen. Mund-Nasen-Masken erleichtern die Kommunikation mit den Mitmenschen nicht gerade. Hart trifft die Maskenpflicht zum Schutz vor Covid-19 diejenigen, die ohnehin nicht so gut oder gar nicht hören. Nach Ansicht der Reutlinger Hörakustikmeisterin Nadja Kuhnle können Masken mit Sichtfenster diesen Nachteil ein Stück weit ausgleichen.
»Hochgradig schwerhörige Menschen«, beschreibt die Inhaberin des Geschäfts Aug’ und Ohr, »schauen einem auf den Mund und nicht in die Augen«. Das Ungehörte vom Mund abzulesen funktioniere bei ihnen praktisch automatisch. Der Pro-Akustik-Verband, in dem sie zusammen mit etwa 100 weiteren selbstständigen Hörakustikmeistern Mitglied ist, habe überlegt, wie man das Maskenproblem für ihre Kundschaft lösen kann.
Und zwar auf verschiedenen Ebenen. Dazu wurde erst einmal mit Sonden gemessen, wie viel Schall der Schutz schluckt. Die Hörakustiker sendeten dazu ein Signal mit 65 Dezibel aus, was der normalen Gesprächslautstärke entspricht. Dann wurde der Lautsprecher, aus dem der Ton kam, mit Mundschutz versehen. Die Lautsprecheroberfläche, die nicht von der Maske bedeckt war, wurde abgeklebt. Fazit, so Kuhnle: »Mit einfachen OP-Masken werden sechs Dezibel weniger abgegeben, mit FFP2- oder FFP3-Masken sind es acht Dezibel weniger.« Und zehn Dezibel weniger kommen an, wenn zur Maske noch ein Plastikvisier aufgesetzt wird.
Schon für Normalhörende wird eine Unterhaltung auf diese Weise anstrengender, für Menschen mit Hörproblemen wächst die Gefahr der Ausgrenzung, weil sie an der Kommunikation nur noch schwer teilnehmen können.
Der Deutsche Schwerhörigenbund will, so steht es auf der Webseite des Interessenverbands, für diese Problematik sensibilisieren und pragmatische Lösungen aufzeigen. Zum Beispiel könnten Hörbeeinträchtigte Masken tragen, auf denen ein durchgestrichenes Ohr, das Symbol für hörgeschädigt, abgebildet ist. Dadurch könne das Gegenüber sich besser darauf einstellen und, wo möglich, die Maske beim Sprechen abnehmen. Zu Masken mit Klarsichtfolie nimmt der Verband wie folgt Stellung: »Dazu ist realistischerweise zu sagen, der Preis dieser Masken beziehungsweise auch die eingeschränkte Wirkung/Hilfe, sowohl beim Schutz als auch bei der Vermittlung des Mundbildes (durch Krümmung der Folie verschwommen oder durch die Atmung beschlagen) machen nur eine bedingte Nutzung möglich.«
Die Hörgeräteindustrie geht davon aus, dass rund zwölf Prozent der Menschen in Deutschland von einer Hörminderung betroffen sind – keineswegs ausschließlich alte Menschen. Die Pro Akustiker haben eine Schneiderin gefunden, die 300 Masken mit Sichtfenstern in der Woche fertigen kann. Die Resonanz darauf sei »phänomenal: Wir bekommen immer mehr Anfragen«. (Bestellt werden können die Masken im Onlineshop simoneweghorn.de, je nach Modell ab 18,50 Euro.)
Im Geschäft von Nadja Kuhnle tragen die Mitarbeiter die Sichtfenster-Masken im Wechsel mit FFP2-Masken – je nachdem wie nah sie den Kunden kommen. Vor dem ersten Gebrauch müsse man die Folie mit Spüli reinigen, damit sie nicht beschlägt. Seitdem die Maskenpflicht herrscht, habe sie deutlich mehr zu tun, sagt Nadja Kuhnle. Viele Träger von Hörgeräten brauchen in diesen Tagen eine Anpassung der Programmierung ihrer Hörhilfe, um den durch die Maske verursachten Schallverlust wieder auszugleichen. Kuhnle rät Hörgeräteträgern auch zu Masken mit speziellen Befestigungen, damit das kleine Hightechgerät am Ohr nicht verrutscht oder verloren geht. (GEA)