REUTLINGEN. Jetzt Einschränkungen hinnehmen, um sich an Weihnachten wieder treffen zu können - das ist das Ziel der einschneidenden Corona-Maßnahmen, die am 2. November in Kraft treten und bis Monatsende gelten sollen. Sie kommen dem Shutdown vom Frühling schon recht nah. Die Reaktionen der Reutlinger schwanken zwischen Verständnis und Empörung.
»Sehr schlecht für die Gastronomie«, meint Eisdielenbesitzer Giovanni la Gamma, zuckt mit den Schultern und macht ein unglückliches Gesicht dabei. Dieses Jahr habe sein Geschäft »über 30 Prozent weniger Umsatz gemacht«. Im Freien hätten die Leute noch Lust auf Eis oder italienischen Kaffee, »aber die Gäste haben Angst in geschlossenen Räumen zu sitzen«. La Gammes Fazit hört sich unter dem Strich etwas resigniert an: »Was soll man machen, wir haben keine Alternative«. In seiner alten Heimat Italien seien »die Regeln noch viel strenger«. Er selbst mache seine Eisdiele jedenfalls am kommenden Montag dicht, und erst im neuen Jahr wieder auf.
»Mein Gott, was nötig ist, ist nötig«
»Ich denke, die Regierung steckt in der Krise, wenn die Infektionszahlen im Dezember nicht gefallen sind«, meint Andreas, der seinen Namen nicht vollständig preisgeben möchte. Was nun beschlossen sei, »ist eine Katastrophe für Gastronomie und Hotels. Vor allem, weil die so viel in Schutzmaßnahmen investiert haben und jetzt nochmals bestraft werden«. Seiner Meinung nach müsste Gaststätten und Restaurants geöffnet bleiben, »mit Heizpilzen würde es ja draußen gehen«. Er mache sich jedenfalls »wirklich Sorgen, dass es viele Selbstständige in der Gastronomie und im Einzelhandel im nächsten Jahr nicht mehr geben wird«.
»Mein Gott, was nötig ist, ist nötig«, signalisieren Maria und Helmut beim Einkaufsbummel in der oberen Wilhelmstraße Verständnis für die Maßnahmen. »Corona ist nicht wegzudiskutieren. Jeder muss Verantwortung übernehmen. Die Werte steigen massiv. Wissenschaftler kennen sich damit aus. Wenn die sagen, wir müssen jetzt runterfahren, ist das in Ordnung«. Das Ehepaar im Alter von 73 und 81 Jahren möchte sich nicht fotografieren lassen, wirkt jedoch sichtlich entschlossen im Kampf gegen das Virus.
Auch aus dem Mund von Obst- und Gemüsehändler Murat Celik kommt kein kritisches Wort. »Für unsere Gesundheit müssen wir etwas tun. Wir haben jetzt alle schlimme Tage, da muss man eben durch«, sagt er. Bezogen aufs Geschäftliche gibt er zu Protokoll, »dass uns die Not erfinderisch gemacht hat: Kasse draußen, schneller bedienen, mehr Abstand«.
Werner Jaschke stellt sein Fahrrad kurz ab, und kommt beim Antworten auf die Frage nach seiner Einschätzung des neuen Teil-Lockdowns ins Grübeln: »Ich weiss auch nicht, was ich davon halten soll. Ich glaube, das die Schließung der Gastronomie eher ein Fehler ist. Die Wirte machen das größtenteils gut. Ich fürchte, die Gäste weichen ins Private aus«. Insgesamt zeigt Jaschke Verständnis für die Maßnahmen. »Wir müssen etwas machen. Meine Frau arbeitet im Krankenhaus, und die Patientenzahlen steigen. Das ist kein Spaß. Wen es erwischt, der ist zu bedauern«.
Ein Straßenmusiker auf Höhe des Marktplatzes mag zwar seinen Namen weder in der Zeitung noch im Internet lesen, hat auch seit dem ersten kompletten Lockdown »keine Termine mehr«, versteht aber dennoch alle Einschränkungen: »Ja, man muss etwas gegen das Coronavirus tun«.
Auf dem Reutlinger Wochenmarkt versammeln sich an einem Stand zwei Meinungen. Alexandra Lang, die eine fruchtige Schutzmaske mit Zwetschgen darauf trägt, signalisiert viel Verständnis für Einschränkungen: »Im Großen und Ganzen finde ich das gut. Nur schade für die Gastronomie, denn die ist eh gebeutelt«. Dagegen stellt sich Frank Kuhn einige Fragen, auf die er keine Antwort aus den Reihen der politisch Verantwortlichen gehört hat. Etwa die hier: »Wie kann es sein, dass sich nur maximal zehn Personen aus zwei Familien treffen dürfen, aber 20 Kinder aus 20 Familien in einem Klassenzimmer?«. Auch Kuhn bezweifelt den Sinn eines erneuten Lockdowns für die Gastronomie.
Verkäuferin Vlora äußert in der Metzgerstraße ebenfalls Zweifel an einem Teil der beschlossenen Kontaktbeschränkungen. Für sie sei »nicht nachvollziehbar, wieso Kosmetikstudios zumachen müssen, aber Friseure nicht«. Die junge Frau fragt sich darüber hinaus, wie viele Menschen noch in die Innenstädte kommen, wenn es jenseits des geöffneten Einzelhandels dazu keinen Grund mehr gibt - weil alles andere eben dicht ist. »Wären die Maßnahmen vorher strenger gewesen, bräuchten wir jetzt nicht wieder einen Teil-Lockdown«, meint sie, »alles ist ein bischen erschreckend. Vor allem die Ungewissheit, wie es weiter geht«. (GEA)