REUTLINGEN. Die Werbekampagne »Nur lieben« sollte Reutlingen zu einer Marke werden, die Stadt auf »einer Landkarte erscheinen lassen«, wie Stadtmarketing-Chefin Anna Bierig sagt. Für die Menschen, die hier leben. Und für Auswärtige. Die Auflösung der Schmähplakate ist nun vier Monate her. Zeit für den GEA, Passanten in der Innenstadt zu befragen. Haben die Menschen tatsächlich das Gefühl, ihre Stadt braucht »ein Gesicht«? Wie kam die Marketingstrategie bei ihnen an? Und was könnte die Stadt allgemein für Besucher attraktiv machen?
Silke Steinheuer hat erst vor kurzem ihre Familie in Nordrhein-Westfalen besucht. Wenn sie nach ihrer Heimat gefragt wird, spricht sie meist von »Nähe Stuttgart«. Für sie ist die Reutlinger Innenstadt »eigentlich ziemlich hässlich, aber wenn ich dann wieder hier bin, ist das schon ein Gefühl von Heimat«. Die Kampagne »Nur lieben« empfand Steinheuer zu Beginn als lustig, doch man solle stattdessen eher Maßnahmen wie den kostenlose ÖPNV, oder mehr Barrierefreiheit für sie und weitere Menschen im Rollstuhl finanzieren. Wofür die Stadt nach Außen stehen könne, ist ihre Vielfalt. »Wir haben hier so viele Menschen, die man mit kulturübergreifenden Angeboten verbinden könnte.« Ein geeigneter Ort hierfür wäre der Marktplatz, sagt Steinheuer.
Auch Horst Ezel glaubt, dass ungenutztes Potenzial im Marktplatz steckt. Er findet, Reutlingen als Herkunftsort ist nicht erklärungsbedürftig. Gleichzeitig sagt Ezel aber auch, dass der Stadt Alleinstellungsmerkmale fehlen - wie die Neckarfront in Tübingen. Wie würde er Reutlingen beschreiben? Ezel lacht: »Eine normale Stadt. Nichts besonderes, aber das ist überhaupt nicht schlimm.« Ein Weg, die Stadt zum Jahresende attraktiver zu machen, sei der Weihnachtsmarkt: »Warum ist der Weihnachtsmarkt nicht auf dem Marktplatz? Da wäre es doch viel schöner und die Leute würden nicht immer nach Stuttgart fahren.« Für den Wannweiler war »Nur lieben« eine »super Idee, von der wir mehr gebrauchen könnten«.
Doch nicht bei allen Bürgern kam die Werbekampagne so gut an. »Nach der Auflösung ist das völlig untergegangen«, meint Alex Hänßler. Ihm waren die Schmähplakate noch aufgefallen, doch seitdem sieht er »eher wenig« von der Vermarktung. Auch der 28-Jährige sagt anderen Menschen, er komme »aus der Nähe von Stuttgart«, denn »außerhalb von hier kennt doch keiner Reutlingen«. Das liegt für ihn vor allem an der »langweiligen« Innenstadt. Viele Leerstände und fehlende Möglichkeiten abends feiern zu gehen, hielten junge Leute davon ab, die Stadt zu besuchen.
Die Lage der Läden in der Wilhelmstraße ist auch für Beate Herrmann Grund, weshalb sich die Innenstadt wohl nur schwer vermarkten lässt. »Früher gab es hier schöne Geschäfte, jetzt ist es viel Billig-Kram.« Sie findet, die Menschen sollten »auf die Umgebung und die vielen regionalen Lebensmittel, die es im Landkreis gibt, schauen. Das ist das Besondere an Reutlingen.« Dazu gehört für sie zum Beispiel der Markwasen. »Wir sollten dankbar für die Umgebung sein und besser mit ihr umgehen«, so die 70-Jährige.
Ulla Schaffert blickt selbstbewusst auf ihre Stadt: »Reutlingen ist eine Stadt, die groß genug ist, damit sie Leute in Baden-Württemberg kennen.« Für sie lohnt sich ein Besuch in die Stadt vor allem wegen der unterschiedlichen Veranstaltungen: »Die sollten nur öfter beworben werden. Sonst sieht man immer nur Werbung, wenn etwas im Echazhafen stattfindet.« (GEA)