REUTLINGEN. Innovative Fahrzeugkonzepte sind ihr Alltag: Professor Andrea Lipp-Allrutz und Professor Michael Goretzky lehren im Studiengang Transportation Interior Design an der Hochschule Reutlingen. Und Goretzky ist Dekan der Fakultät Textil & Design. Absolventen des Studiengangs arbeiten in Designabteilungen namhafter Fahrzeughersteller und deren Zulieferer.
GEA: Wie können Fahrzeugkonzepte der Zukunft aussehen?
Andrea Lipp-Allrutz: Wir stehen vor einem großen Wandel der Mobilität. Mobilität und Fahrzeuge werden sich veränderten Bedingungen anpassen. Carsharing beispielsweise ist heute schon längst ein tragbares Konzept, dies wird uns weiter und in immer größerem Ausmaß begleiten. Zudem stehen wir an der Schwelle zum autonomen Fahren. Ein riesengroßer Schritt, der die komplette Mobilität revolutionieren wird. Fahrzeuge, Fahrzeugkonzepte und Mobilität als solche werden sich stark verändern. Es entstehen bisher undenkbare Optionen und Nutzungsmöglichkeiten für Fahrzeuge. Fahrzeuge werden interaktiv, personalisierbar und vernetzt sein. Die Grenze zwischen öffentlichen und privaten Verkehrsmitteln wird aufweichen.
Michael Goretzky: In unserem Studiengang arbeiten wir stark projekt- und praxisorientiert. Die Studierenden erarbeiten beispielsweise im dritten Fachsemester ein ganzes Fahrzeugkonzept. Dabei entstehen zukunftsweisende und spannende Konzepte – die Zukunft der Mobilität. Die Besucher der Reutlinger Mobilitätstage können in drei dieser Konzepte eintauchen. Hier zeigt sich auch, wie weitreichend die Veränderungen sein werden. Ein Fahrzeug wie wir es heute noch kennen, wird 2050 durchaus exotisch sein.
Inwieweit können neue Mobilitätskonzepte eine Mobilitätswende herbeiführen und so einen weiteren Verkehrskollaps der Städte vermeiden?
Lipp-Allrutz: Neue Mobilitätskonzepte können dazu beitragen, den totalen Verkehrskollaps, nicht nur der Megacitys, abzuwenden. Vernetzte, autonome Fahrzeuge können zum Beispiel Staus vermeiden. Sharing-Fahrzeuge vermindern die Gesamtzahl der Fahrzeuge und reduzieren so nicht nur das allgemeine Verkehrsaufkommen, sondern auch den Parkraumbedarf.
Goretzky: Multimodale Mobilitätsangebote – das heißt, die Nutzung mehrerer, verschiedener Verkehrsmittel, um von einem Ort zum nächsten zu gelangen – erzeugen individuelle und effektivere Fahrten. Dadurch können die Verkehrsmittel besser ausgenutzt und Zeit gespart werden. All das wird dazu beitragen, dass sich die angespannte Verkehrslage entspannt.
Wie schnell können wir mit selbstfahrenden Fahrzeugen rechnen?
Lipp-Allrutz: Uns erwartet ein fließender Übergang, der sich nicht nur über mehrere Jahre, sondern über Jahrzehnte erstrecken wird. Individualverkehr, wie wir ihn heute kennen, und autonomer Verkehr werden noch lange Zeit in parallelen Bereichen existieren. Es gibt auch heute schon vereinzelte abgeschlossene Bereiche, in denen autonome Fahrzeuge verkehren – wie Shuttles an Flughäfen oder Werksfahrzeuge auf Werksgeländen.
Goretzky: Eine vollständige Einbindung autonomer Fahrzeuge hängt jedoch nicht nur von den technologischen Fortschritten, gerade im Bereich der künstlichen Intelligenz, sondern auch wesentlich von der entsprechenden Infrastruktur und Gesetzgebung ab.
Welchen Einfluss wird das Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit bekommen?
Goretzky: Das Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit wird in Zukunft noch wichtiger werden. Die Diskussion um alternative Antriebe und Energiespeicher ist in vollem Gange, wir erleben die ersten Diesel-Fahrverbote und das Thema ist gesellschaftlich sehr in den Fokus gerückt. Auch an unserer Fakultät ist uns die Entwicklung des Bewusstseins für nachhaltiges Handeln ein besonderes Anliegen.
Wie werden die Fahrzeuginnenräume der Zukunft aussehen?
Lipp-Allrutz: Durch das autonome Fahren tritt die eigentliche Tätigkeit des Fahrens immer mehr in den Hintergrund, das ermöglicht ganz neue Tätigkeiten im Innenraum, wie Lesen, Arbeiten, Filme schauen oder sich entspannen. Das Fahrzeug wird so neben dem Wohn- und Arbeitsraum zum dritten Lebensraum.
Goretzky: Spannend ist auch, dass individuelle Mobilität für neue Zielgruppen zugänglich wird, die heute nicht selbst fahren können, Kinder beispielsweise oder Menschen mit Einschränkungen.
Welche Interaktionsformen mit dem Fahrzeug werden wir erleben?
Goretzky: Das Interaktionsspektrum wird sich massiv erweitern. Steuerung über Sprache und Gesten kommen hinzu und werden intuitiver. Das Fahrzeug wird zum intelligenten, mitdenkenden und fürsorglichen Partner.
Lipp-Allrutz: Heute gewohnte Steuer-Instrumente, wie Schalter und Knöpfe, wird es immer weniger geben. Der gesamte Innenraum wird zur Kommunikationsplattform. Die Materialien werden interaktiv, mit Sensoren und Anzeigemöglichkeiten. Über Augmented Reality, das computergestützte Einblenden von Zusatzinformationen, erfahre ich mehr über die Umgebung, durch die ich fahre, über 3-D-Hologramme kann ich das Entertainment-System steuern oder eine 3-D-Karte meines Reiseziels einblenden. (sg/iso)