REUTLINGEN. Angesichts von Corona ist das Klinikpersonal ebenso wie das in den Pflegeheimen in den Fokus gerückt. Das sei natürlich gut, richtig und wichtig, sagte Beate Müller-Gemmeke. Aber diejenigen, die ebenfalls in sozialen Bereichen arbeiten, die sollten nicht aus dem Blick geraten, sagte die Grünen-Bundestagsabgeordnete. »Ich sehe die Verteilung von Mund- und Nasenschutzmasken als Solidaritätsbeweis mit den kleinen Einrichtungen.«
Mädchen, Frauen, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderungen brauchen Ansprechpersonen, sagte die Politikerin. Bedürftige müssten dringend notwendige Lebensmittel erhalten, Wohnungslose oder Geflüchtete bräuchten auch weiter Hilfe und Orientierung. Trotz Corona. Um diejenigen Einrichtungen, die sich um die Hilfebedürftigen kümmern, zu unterstützen, wenigstens ein klein wenig ins Bewusstsein zu rücken und sie mit Mund- und Nasenmasken zu versorgen, hat Müller-Gemmeke bei Franziska Schuller aus Münsingen und ihrem Nähstudio »Nähativ by Franzi« Gesichtsverhüllungen bestellt. »550 Stück sind es bisher, ich habe Franzi vergangenes Jahr bei meiner Alb-Tour kennengelernt, sie kommt gar nicht mehr mit dem Nähen hinterher«, schmunzelt die Grünen-Politikerin.
Die koch- und wiederverwendbaren Masken verteilt Müller-Gemmeke an acht Einrichtungen, darunter das Reutlinger Frauenhaus, die Tafel, Pro Juventa für die Menschen im Kleinen Bol, an gÖrls, an die AWO, Asylpfarrerin Ines Fischer, ans Kaffeehäusle und den Verein für Sozialpsychiatrie. Und Beate Müller-Gemmeke hat vorab Fragen an die Einrichtungen gestellt. Ob die Angebote trotz Corona aufrechterhalten bleiben können. Welche Folgen die Einschränkungen für die Klienten haben.
Bei vielen Einrichtungen treten die gleichen Probleme auf, wie sich schnell zeigte – im Frauenhaus etwa, im Kleinen Bol, in den Flüchtlingsunterkünften und auch bei den Mädchen von gÖrls: Viele Kinder und Jugendlichen in finanziell benachteiligten Familien haben wenig Platz, keine Ruhe zum Lernen, oft keine Hardware, um überhaupt am Homeschooling teilnehmen zu können, berichteten Ines Fischer und Müller-Gemmeke. Bei Flüchtlingskindern kommen weitere Probleme hinzu: »Einige der Geflüchteten müssen jeden Monat mit 160 Euro auskommen, das ist eine Katastrophe«, so Fischer. »Was für Chancen haben all die benachteiligten Kinder im Vergleich zu anderen«, fragte sich die Asylpfarrerin beim Besuch der Grünen-Politikerin. »Die Pandemie wirkt wie ein Brennglas, das auf soziale Ungerechtigkeiten gerichtet ist«, so Müller-Gemmeke.
Einen anderen Punkt sprach Rose Henes vom Reutlinger Kaffeehäusle beim Besuch von Müller-Gemmeke an: »Das Kerngeschäft der sozialen Arbeit, die Begegnung, ist plötzlich weg.« Begegnung gab es nämlich im Kaffeehäusle. Aber auch Arbeitsplätze für behinderte Menschen. Die sind erst mal weggefallen, die Beschäftigten sind in der Zwischenzeit in Behindertenwerkstätten.
Probleme gibt es für die gastronomische Einrichtung des Kaffeehäusles aber auch mit der Finanzierung. Einnahmen gibt es nämlich seit Wochen gar keine. Mit offenem Ende. Keiner wisse, wie es nach der Krise weitergehe. »Vergangenen Donnerstag haben wir einen Straßenverkauf eingerichtet, der hat sich aber noch nicht rumgesprochen«, so Henes.
Die Hilfe von Feder (Familienunterstützender Dienst in Reutlingen) laufe nun wieder an, die Betreuer und ihre Schützlinge »sind angehalten, sich möglichst im Freien aufzuhalten und Abstand zu wahren«, sagte Rose Henes. »Dabei gehören Umarmungen doch eigentlich zum Arbeitsprinzip.« Und die Sommerfreizeiten der Lebenshilfe? Da müsse abgewartet werden, ob die stattfinden können. »Andere Menschen zu sehen, ist doch kein Luxus«, sagte Henes mit Blick auf die Veranstaltungen von BAFF (Bildung, Aktion, Freizeit, Feste). (GEA)