REUTLINGEN. Rund 800 Menschen haben sich am Montagabend zu einer nicht angemeldeten Kundgebung auf dem Reutlinger Marktplatz getroffen. Vor allem mit einer langen Nachricht, die auf diversen Messenger-Diensten verbreitet worden war, war zu dieser Versammlung aufgerufen worden. In dieser Nachricht wurde der Protest der Bauern gelobt. »Es muss endlich Schluss damit sein, dass dieses Land (absichtlich und bewusst) an die Wand gefahren wird und wir nur ausgebeutet werden«, so der Wortlaut. Nicht erwünscht sei »Gewalt und Sachbeschädigung« bei der Demo, hieß es weiter.
An diese Aufforderung halten sich die Teilnehmer dann auch. Wobei die Stimmung bei manchen durchaus als aufgeheizt bis aggressiv bezeichnet werden kann. Viele wollen sich erst gar nicht mit der Presse unterhalten, das Misstrauen gegenüber Medien ist hoch. Eine Frau mittleren Alters erklärt dann doch etwas zu ihren Motiven für den Protest. Sie komme aus einer Bauern-Familie, auch ihr Vater sei einer gewesen, sagt sie. »Ich habe viele Landwirte in meinem Freundeskreis und ich bin hier aus Solidarität mit ihnen.« Sie kritisiert die Ampel-Sparpläne - scheint dann aber auch etwas unsicher zu sein, ob die Teilnahme an dieser Demo der richtige Weg ist.
Keine Redebeiträge
Die Kundgebung ist nicht angemeldet. Man mache von der Versammlungsfreiheit Gebrauch, hieß es in der Nachricht im Voraus. Reutlingens Ordnungsamts-Chef Albert Keppler ordnet diese Aussage im GEA-Gespräch ein. Ja, die Versammlungsfreiheit sei ein hoch anzusiedelndes Grundrecht, so Keppler. Aber anmelden müsse man Kundgebungen eben trotzdem. »Es erfüllt einen Straftatbestand, wenn man zu einer Kundgebung einlädt, ohne dass man diese angemeldet hat.«
Das ist dann wohl auch der Grund, dass es keine Redebeiträge gibt: Niemand will sich als Organisator zu erkennen geben. So mutet die Versammlung auf dem Marktplatz gegen 19 Uhr wenig nach Demo an. Die vielen Menschen stehen in kleinen Grüppchen beisammen, die einen sprechen über Politik, die anderen über das beste Restaurant in Reutlingen. Schilder mit Botschaften tragen nur wenige bei sich. Alles unter Beobachtung von vier Polizisten, die sich am »Alexandre« platziert haben. Auch in der Menge: Einige Leute, die schon Ende 2021 an den ersten großen Corona-Demos teilgenommen hatten, die damals aufgrund der Maßnahmen noch verboten worden waren.
Viele aus dem Feld der Samstagsdemos
Aus dem Feld der regelmäßigen Samstagsdemos scheinen sowieso viele der Menschen zu kommen, die an diesem eiskalten Abend auf dem Marktplatz stehen. Auch die Reutlinger Polizei hatte dies im Voraus so eingeordnet. Die große Solidarität mit den Bauernprotesten scheint die Teilnehmerzahl betreffend aber wie ein Katalysator gewirkt zu haben. Bei der letzten Samstagsdemo vor Weihnachten waren es nur rund 100 Teilnehmer gewesen. Nun ist die Menge deutlich größer.
Und so haben die wenigen Polizisten vor Ort schließlich ihre liebe Mühe damit, die Protestler, als sie sich in Bewegung setzen, davon abzuhalten, auf die Karlstraße zu strömen. Einmal gelingt das. Ein zweites Mal nicht. Und so sperren die Beamten provisorisch einen kleinen Abschnitt der Durchgangsstraße und der Demozug sorgt für kurze Verkehrsbehinderungen. Einen Rettungswagen mit Blaulicht lassen die Menschen aber problemlos durch.
Kreisbauern-Chef distanziert sich
Was nahezu alle an diesem Abend vereint: Sie lehnen die Ampel-Regierung und ihre Politik ab. »Ich finde es mutig, was die Bauern auf die Beine gestellt haben, und wir wollen auf diesen Zug aufspringen«, sagt eine Frau. Kreisbauern-Chef Gebhard Aierstock dagegen hatte sich zuletzt mehrfach von der unangemeldeten Kundgebung distanziert: »Das hat mit uns und LSV überhaupt nichts zu tun!«
Man sei für Frieden und gegen Waffenlieferungen, für Migrationsbeschränkungen und niedrigere Steuern, sagen andere Demonstranten. Eine Gruppe trägt Mützen mit AfD-Stickern. »Mit dem Energiegesetz nimmt man mir mein Haus weg«, ruft eine andere Frau. Sie beklagt, nach 38 Jahren als Krankenschwester kaum von ihrer Rente leben zu können. Ampel weg - und dann? Auf diese Frage haben viele keine Antwort. Andere fordern eine Regierung, die »an uns denkt«. Gegen 20 Uhr löst sich der Protest auf dem Marktplatz dann auf. (GEA)