KREIS REUTLINGEN. Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Vor allem dann, wenn er mit der Bahn unterwegs ist. Denn Verspätungen und Ausfälle, fragwürdiger Ersatzverkehr-Service, Verschmutzungen und Defekte sind offenbar treue Wegbegleiter, wenn’s ums Zugfahren geht. Verlässlich, so scheint es, ist auf der Schiene derzeit nur die Unzuverlässigkeit. Das jedenfalls legen Erfahrungsberichte nahe, die GEA-Leser – einem Aufruf im Lokalteil folgend – an die Redaktion geschickt haben.
Allesamt künden sie von Mängeln, Pannen und Versäumnissen; allesamt dokumentieren sie, dass Zugfahrten – anders als in einem deutschen Volkslied behauptet – weder lustig noch schön sind, sondern höchst ärgerlich und nervig. Anbei einige – teils gestraffte – Erlebnis-Berichte von Reisenden und Berufspendlern, die einhellig zum Ergebnis kommen, dass Bahnfahren alles andere als vergnügungssteuerpflichtig ist.
Achim Sieder, Reutlingen: Noch ganz viel Luft nach oben
»Eigentlich«, verrät Achim Sieder, der beruflich zwischen Reutlingen und Plochingen pendelt, »bin ich gerne mit der Bahn unterwegs, und das Deutschlandticket ist mit monatlich 49 Euro auch preislich durchaus attraktiv – im Vergleich zum Autofahren. Auch die lästige Parkplatzsuche an meinem Arbeitsort Plochingen entfällt.« Was gut klingt, in der Realität aber nicht gut ist.
Denn: »Die auf der Strecke zwischen Heilbronn und Tübingen verkehrende SWEG – einer Untergesellschaft der Deutschen Bahn – hat angesichts ihres letzten Rankingplatzes (Rang 32) im Land noch ganz viel Luft nach oben.« Beispiel: »Im kalten Januar habe ich etwa zwei Stunden auf dem Plochinger Bahnhof gewartet – weil es eindeutig an der Kommunikation gehapert hatte. Erst sind es 20 Minuten Verspätung wegen Polizeieinsatz (kann ja vorkommen), dann eine Stunde, und plötzlich ist der Zug auf der Anzeigetafel ganz weg!?«
Schreiben Sie uns
Wie sind Ihre Erfahrungen als Pendler oder Reisende mit der Bahn? Noch bis einschließlich Sonntag, 18. Februar, Mitternacht, gibt es Gelegenehit sich am Leserforum zu beteiligen. Schreiben Sie uns – bitte mit vollen Namen und Wohnort – eine E-Mail und schildern sie in maximal 40 Zeilen à 35 Anschlägen, wie Sie das Reisen oder Pendeln auf der Schiene erleben. Die Beiträge werden, gegebenenfalls in gekürzter Form, mit Namen und Wohnort der Verfasser im GEA-Lokalteil publiziert. (ekü)
gea-forum@gea.de
Anderntags hat Achim Sieder deshalb eine Dame im Infocenter der DB darauf angesprochen, und »diese war sehr unfreundlich, meinte, sie müsse mir ihren Namen nicht sagen – hatte wohl Angst vor einer Beschwerde an höherer Stelle. Wochen später hat mir eine SWEG-Zugbegleiterin erklärt, das sie auch sehr genervt von der rotfarbenen DB sind, am Stuttgarter Hauptbahnhof immer zuletzt rausfahren dürfen sowie wenige Infos von den in der GDL-Gewerkschaft organisierten Stellwerksleitern bekommen. Dabei sollten doch alle Bahnbetreiber im gleichen Boot sitzen. (…)«
Alia Boecker, Wannweil: Achselzucken statt Hilfe
Wer von Wannweil aus ohne Auto nach Tübingen oder Reutlingen gelangen will, braucht in der Regel starke Nerven, wie Alia Boecker weiß. »Gerade bei festen Terminen wissen alle meine Freunde schon, dass ich wahrscheinlich zu spät komme. Die Regionalbahnen haben immer die niedrigste Priorität und wir müssen warten, während der verspätete Metropolexpress vorbeifährt«, so ihre teilnehmende Beobachtung.
»Vor Kurzem wollte ich Freitagnacht von einer Geburtstagsparty nach Hause. Der Zug um 1 Uhr kam einfach nicht. Wenn wieder fünf Minuten vergangen waren, sprang die Verspätungsanzeige fünf Minuten vor. Wir haben uns letztendlich zu sechst ein Taxi geteilt (…)« Um in der Folge mit dem Heiligen Bürokratius zu kämpfen. Denn die Formulare für Fahrterstattungen haben es offenbar in sich. »Als ich mit Fragen zu den Formalien zum Schalter in Tübingen gegangen bin, hatte die Kundenberaterin größtenteils Achselzucken für mich übrig.«
Gabi Widmaier, Reutlingen: Froh, wenn überhaupt ein Zug kommt
»Seit 18 Jahren pendle ich zur Arbeit von Reutlingen nach Tübingen und zurück«, lässt Gabi Widmaier wissen, die »ein Buch über die tägliche Pendelei mit der Bahn schreiben« könnte. Für den GEA hat sie sich freilich kurz gefasst und aufs Wesentliche beschränkt. »Anfangs«, so Widmaier, »hat noch alles einigermaßen funktioniert. Seit mehreren Jahren häufen sich aber die Probleme. Zwischenzeitlich ist es so, dass kein Tag mehr vergeht, ohne dass es zu Ausfällen kommt. Verspätungen sind schon so gut wie normal.« Vor diesem Hintergrund sei »man einfach froh, wenn überhaupt ein Zug kommt.«
Fast schon üblich »ist es, dass Toiletten außer Betrieb und Türen kaputt sind. Mit der Folge, dass sich der ganze Pulk von Menschen dann zum Aussteigen in eine Richtung der noch funktionierenden Tür drängt. Ich schaue jeden Morgen online, ob mein Zug überhaupt fährt, welche Alternativen ich davor oder danach habe, ohne die Sicherheit zu haben, ob die Alternativen funktionieren.«
Trotz dieser Widrigkeiten lässt die GEA-Leserin ihr Auto dem Umweltschutz zuliebe stehen. In einem Verwaltungsjob tätig, seien Verspätungen für sie »kein Drama. Wenn ich mal eine halbe Stunde später ins Büro komme, dann hänge ich diese eben hinten an. Beim Pflegepersonal mit Schichtdienst ist das wesentlich prekärer, und oft erlebe ich verzweifelte Fahrgäste, die ihre Schicht nicht pünktlich antreten können (...)« Widmaiers Fazit: »Ich glaube, in den meisten Entwicklungsländern funktioniert der Zugverkehr zwischenzeitlich zuverlässiger als hier.«
Sonja Nötzold, Nürtingen: Betrug am Kunden
Auch Sonja Nötzold ist regelmäßige Nutzerin der Bahn und über deren »Entgleisungen« empört. »Ich pendle jeden Tag zur Arbeit von Nürtingen nach Reutlingen und zurück. Türstörungen, überfüllte Züge, Toiletten die nicht funktionieren, vollgekotzte Abteile sowie Müll hier und da gehören zum Alltag«, beschreibt sie die sie und andere Fahrgäste flankierenden Zumutungen.
»Das Schlimmste« seien freilich »Ausfälle, Verspätungen, Streiks und unerwartete Zwischenhalte. Habe keine Möglichkeit mit dem Auto zu kommen, da ich aufgrund meiner Sehschwäche fahruntauglich bin. Daher musste ich schon mehrmals in eine Pension oder das Taxi nehmen, was natürlich nicht von der Bahn bezahlt wird. Da heißt es dann, sie seien nicht schuld an Oberleitungsstörung (… )« Kurz und knapp: »Die Bahn verlangt Geld und liefert keine Leistung – das ist schlichtweg Betrug«, zumindest aber »ein Vertragsbruch«.
Heike Lang, Reutlingen: Ein absolutes No-Go
9. September 2023, Rückfahrt von Stuttgart nach Reutlingen: Der Aufzug ist wieder einmal defekt und ein in Begleitung von KBF-Mitarbeiterin Heike Lang befindlicher »E-Rollifahrer hatte keine Möglichkeit von Gleis 2 zum Ausgang zu kommen. Uns wurde gesagt, dass wir mit dem nächsten Zug nach Tübingen müssen, um dort umzusteigen und zurück nach Reutlingen zu fahren – um dann auf Gleis 1 auszusteigen und zum Ausgang zu gelangen.«
Jedoch: Als der nächste Zug einfuhr »weigert sich der Lokführer eine Rampe anzubringen, weil er sonst Zeit verliert. Er lässt den 24-Jährigen in seinem E-Rolli am Bahnsteig stehen.« Im nächsten Zug »darf« der junge Mann mitfahren. »In Tübingen angekommen, fährt uns der Zug nach Reutlingen vor der Nase weg. Wieder warten ... kalt und nass. Nach Stunden kamen wir dann endlich am Ziel an!« Der Aufzug in Reutlingen ist öfters kaputt, und es gibt keine Alternative: ein absolutes No-Go!
Susanne Zeschmann, Lichtenstein: Toilettengang mit »Igitt«-Faktor
»Ja, die Zugtoiletten«, schreibt Susanne Zeschmann – sie spotten oft jeder Beschreibung. So geschehen, als sich die Lichtensteinerin unlängst »auf der Rückfahrt von Tübingen« befand und die sanitären Anlagen aufsuchen musste. »Nach einem Blick in den Toilettenraum kam ich zu der Einschätzung ›igitt‹.« Gleichwohl war für sie die Benutzung des verdreckten WCs trotz Ekels alternativlos. Ihre Frage: »Warum leistet sich die DB keine Putzkraft an Bord?«
Hubert Keinath, Dettingen-Erms: Wie in einer Sardinenbüchse
Zugfahren von Metzingen nach Stuttgart ist für Pendler Hubert Keinath seit zehn Jahren ein fortwährender Kampf »mit Verspätungen, überfüllten Zügen, vorzeitigen, unvorhergesehenen Bahnstopps zum Beispiel wegen Feuerwehreinsätzen oder wegen GDL-Streiks«. Und der Schienenersatzverkehr? Der ist seiner Erfahrung nach ein Kapitel für sich, weil die Passagiere »eines langen Zuges in einen Schienenersatzverkehrsbus passen sollten.« Was sie indes nicht tun.
Mal ganz davon abgesehen, dass, so Keinath, die Anbindung von Zug zu Bus zu Zug (Nürtingen, Wendlingen, Stuttgart) nicht klappt, auch, weil im Ersatzverkehr eingesetzte Busfahrer nicht ortskundig sind oder kein beziehungsweise nur unzureichend Deutsch sprechen.
»Zwei kaputte Waggontüren führen zur Absperrung ganzer Waggons«, moniert der Pendler. Mit der Folge, dass selbst Stehplätze Mangelware werden und die Ausstiege verstopft sind. »Ein bis zwei Haltestellen vorher muss man versuchen, sich durch die Menschenmassen durchzuquetschen, um die Türe zum Ausstieg am Zielbahnhof Metzingen zu erreichen. Man kommt sich wie in einer Sardinenbüchse vor.« Allerdings mit dem gravierenden Unterschied, dass »die Fische tot sind. Ich aber lebe noch und habe kaum Luft zum Atmen und Platz, mich zu bewegen.«
Doch damit der Widrigkeiten längst noch nicht genug: »Toilettenbehälter werden nicht geleert (Firmenverträge!), weshalb WCs geschlossen bleiben, obwohl sie funktionstüchtig sind. Mitunter sind sie zwar offen, aber stark verschmutzt. An Blasenschwäche oder chronischen Darmerkrankungen darf man als Bahnreisender nicht leiden. (…)« (GEA)
Fortsetzung folgt.