TÜBINGEN. Wir sehen nur rund ein bis zwei Prozent unserer Umwelt wirklich scharf – und zwar den Ausschnitt, der in die Sehgrube (Fovea Centralis) der Netzhaut fällt. Um knifflige Handlungen auszuführen, wie etwa einen Faden durch ein Nadelöhr zu ziehen, müssen unsere Augen daher viele kleine und sehr präzise Bewegungen ausführen. Nur so können wir den ganzen Vorgang hoch aufgelöst sehen – und vermeiden, dass wir uns in den Finger stechen.
Doch wie kontrolliert unser Gehirn diese Bewegungen? Dieser Frage sind Neurowissenschaftler um Professor Ziad M. Hafed am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und der Uni Tübingen nachgegangen. Ihren Ergebnissen zufolge spielt dabei das sogenannte »Obere Hügelchen« (Superior Colliculum) im Hirnstamm die Hauptrolle. Die Erkenntnisse helfen, das Sehsystem und seine Störungen besser zu verstehen.
»Wir wussten vom Oberen Hügelchen, dass diese Region präzise Augenbewegungen kontrollieren kann«, sagt Studienleiter Hafed. »Was unklar war: Trifft dies auch auf Augenbewegungen zu, die von einer hohen Sehschärfe abhängig sind, wie wir sie etwa beim Einfädeln einer Nadel benötigen?« Um diese Frage zu beantworten, maßen Hafed und sein Team die Aktivität von Nervenzellen im Oberen Hügelchen des Gehirns von Rhesusaffen. Die Tiere mussten dabei auf hoch aufgelöste Bildern mit kleinen und präzisen Augenbewegungen reagieren. Anschließend verglichen die Wissenschaftler das Muster der Nervenzellaktivität mit dem anatomischen Aufbau des Oberen Hügelchens.
»Wir beobachteten, dass rund ein Viertel bis ein Drittel aller Nervenzellen im Oberen Hügelchen für die Verarbeitung von Informationen aus der Sehgrube zuständig ist«, so Hafed. Es vergrößert sich also drastisch die Zahl der Nervenzellen, die an der Verarbeitung von hoch aufgelösten Bildbereichen beteiligt sind. Bislang sei man davon ausgegangen, dass das Obere Hügelchen nur dazu notwendig ist, die Augen aus dem Bereich des schärfsten Sehens wegzubewegen. (u)