TÜBINGEN. Der Spezialitätenchemie-Hersteller CHT mit Stammsitz in Tübingen richtet sich unter neuer Geschäftsleitung neu aus. »Mit Beteiligung der Belegschaft soll eine andere Struktur erarbeitet werden«, erklärte Eva Baumann, Sprecherin der Geschäftsführung, im Gespräch mit dem GEA. Dieser Prozess laufe derzeit und solle bis zur Jahresmitte abgeschlossen sein. »In der zweiten Jahreshälfte wollen wir die künftige Fünf-Jahres-Strategie festlegen«, fügte Finanz-Geschäftsführer Christian Rink hinzu. In »CHT 2030« stünden dann Ziele etwa für die Umsätze und Gewinne der kommenden Jahre. Ein qualitatives Ziel gebe es bereits jetzt, so Baumann: »Wir haben uns das Thema Nachhaltigkeit stark auf die Fahne geschrieben.«
Im vergangenen Jahr hat die Unternehmensgruppe CHT mit ihren weltweit rund 2.500 Beschäftigten in 27 Gesellschaften in allen Erdteilen nach vorläufigen Zahlen einen Umsatz von 614 Millionen Euro erzielt. Weitere Daten zu 2024 will die CHT-Führung in einigen Wochen mitteilen. Rink stellte indes vorab fest: »Wir sind mit dem Ergebnis von 2024 sehr zufrieden – und auch der Start in 2025 war positiv.«
900 der 2.500 Beschäftigten arbeiten in Deutschland, davon 426 am Unternehmenssitz in Tübingen und 217 im Produktionswerk Dußlingen, die weiteren in Oyten bei Bremen, in Geretsried bei München und in Kirchberg (Rheinland-Pfalz). Für das Jahr 2023 hatte CHT aufgrund eines starken Absatzrückgangs bei einem Umsatz von 601 (2022: 702) Millionen Euro und einem Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) von 8 (2022: 27) Millionen Euro unterm Strich einen Verlust von 2,8 Millionen Euro ausgewiesen – nach Gewinnen von 11,1 Millionen und sogar von 31,3 Millionen Euro in den Vorjahren.
Neue Geschäftsleitung
Im Herbst 2023 hatte das Unternehmen mitgeteilt, dass im Zuge von Bemühungen um eine Transformation und eine verstärkte Ausrichtung des Unternehmens auf soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeitsziele eine Neuausrichtung der Geschäftsführung notwendig sei. Wie im Handelsregister dokumentiert ist, sind drei Personen seit November 2023 nicht mehr CHT-Geschäftsführer. Übergangsweise übernahm Prof. Klaus Müller, 67, der die CHT bereits seit Jahren über die Beitlich Familienstiftung in Aufsichtsfunktion begleitet hatte, die Geschäftsführung.
Seit April 2024 ist die aus der Nähe von Bad Tölz (Bayern) stammende Baumann, 50, Sprecherin der Geschäftsführung. Sie ist Marketingwirtin BAW (München) und hat einen Masterabschluss in Coaching und Organisationsentwicklung (Wien). Ihre berufliche Laufbahn begann sie in der Kommunikations- und Beratungsbranche, ehe sie von 2000 bis 2020 in verschiedenen (Management-) Funktionen in den Bereichen Strategieentwicklung, Marketing und Vertrieb für Wacker Chemie in München arbeitete. 2021 wechselte sie zur CHT und leitete vor ihrer Berufung in die Geschäftsführung den Geschäftsbereich General Industries. Nun ist sie zuständig für Unternehmensstrategie, Marketing, Vertrieb und Personal.
Der aus der Nähe von Kaiserslautern (Rheinland-Pfalz) stammende Christian Rink, 45, promovierter Wirtschaftsingenieur, ist seit Anfang Oktober 2024 Finanzgeschäftsführer der CHT. Er ist somit verantwortlich für die Themen Finanzen & Controlling, Informationstechnologie, Digitalisierung, Compliance Management und Einkauf. Zuvor hatte Rink fast 20 Jahre in verschiedenen Funktionen für den Bosch-Konzern gearbeitet, wie die CHT ein stiftungsgetragenes Unternehmen. Unter anderem war Rink für Bosch vier Jahre in Schanghai (China) tätig und hatte zuletzt maßgeblichen Anteil am Aufbau des Wärmepumpengeschäfts.
Zum 1. April werde mit der promovierten Ingenieurin Lorenza Sartorelli, 55, auch die dritte Geschäftsführerposition bei CHT besetzt, kündigte Baumann an. Sartorelli trage die Verantwortung für die Produktion. Dies umfasse auch die Bereiche Nachhaltigkeit, Lieferketten und Innovationen.
Mehr als 5.000 Produkte
»Unsere Vision ist, bevorzugter Partner und führende Referenz für nachhaltige chemische Lösungen in weltweiten Märkten zu sein«, sagte Baumann. Dabei gehe es neben dem Umweltschutz auch um soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Die Unternehmensgruppe verfolge das Ziel, bis 2045 klimaneutral zu sein.
Reinhold Beitlich (1913-1996) hat 1953 die Chemische Fabrik Tübingen gegründet, aus der die Unternehmensgruppe CHT entstanden ist. Zwei Stiftungen, die Reinhold-Beitlich-Stiftung und die Beitlich Familienstiftung, halten die Kapital- und die Stimmrechtsmehrheiten an der Muttergesellschaft der CHT, der Vermögensträger Beitlich GmbH (Tübingen). Baumann und Rink sind deren Geschäftsführer. Sie stehen auch an der Spitze der Holding CHT Group GmbH (Tübingen, bis 2024: RB Beitlich Industriebeteiligungen GmbH) und der am Markt agierenden CHT Germany GmbH (Tübingen; früher: CHT R. Beitlich GmbH).
Der Firmenverbund ist spezialisiert auf Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Spezialchemikalien. Diese dienen als Funktionsgeber, Hilfsmittel und Zusätze für industrielle Prozesse. Die CHT-Produkte verbessern Qualität und Funktionalität von Textilien, aber auch von Baustoffen, Farben, Lacken, Papier und Leder sowie von Reinigungs- und Pflegemitteln. Silikonelastomere der CHT kommen in der Formenbauindustrie zum Einsatz, ebenso in der Medizintechnik. Zudem gibt es unter den mehr als 5.000 CHT-Produkten auch Anwendungen in der Automobil- und Elektronikindustrie.
Ursprünglich stellte CHT Textilhilfsmittel her. Dies macht Rink zufolge auch heute noch etwa zwei Drittel des Umsatzes aus. Durch mehrere Firmenübernahmen – etwa 2015 in Brasilien, 2017 in den USA und 2019 in Kirchberg – habe CHT in den vergangenen 20 Jahren das Leistungsspektrum verbreitert, erläuterte Baumann und erzählte ein Beispiel dafür: »Man kommt in Waschstraßen in vielen Teilen Europas nicht um die CHT herum. Dort wird ein Silikonwachs von uns verwendet, damit das Wasser am Auto rückstandsfrei abperlt.« (GEA)