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1.856 Wohnungen in Reutlingen ungenutzt, die Hälfte davon länger als ein Jahr

In Deutschland stehen Wohnungen leer, obwohl sie eigentlich gebraucht werden.  FOTO: GABBERT/DPA
In Deutschland stehen Wohnungen leer, obwohl sie eigentlich gebraucht werden. FOTO: GABBERT/DPA
In Deutschland stehen Wohnungen leer, obwohl sie eigentlich gebraucht werden. FOTO: GABBERT/DPA

REUTLINGEN/WIESBADEN. Auch wenn die Nachfrage nach Wohnraum hoch ist: Viele Wohnungen stehen in Deutschland leer. Nach Erhebungen des Zensus waren es zum Stichtag 15. Mai 2022 rund 1,9 Millionen Wohnungen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht genutzt wurden. Das entspricht einer Leerstandsquote von 4,3 Prozent, wie das Statistische Bundesamt berichtet. In der Stadt Reutlingen standen zum Zeitpunkt der Erhebung 1.856 der insgesamt 56.237 Wohnungen leer. Damit lag die Leerstandsquote mit 3,14 Prozent unter dem Bundesschnitt. Im Landkreis Reutlingen waren 5.819 von insgesamt 138.153 Wohnungen unbewohnt (3,98 Prozent). In Reutlingen waren 25.957 Wohnungen vom Eigentümer bewohnt und 28.303 Wohnungen vermietet. Bei 120 handelt es sich um privat genutzte Ferienwohnungen.

»Die Zensus-Zahlen erschrecken uns alle«, sagt Ralph Henger, Ökonom für Wohnungspolitik und Immobilienökonomik am Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln). Die hohen Leerstände zeigten, dass der Immobilienmarkt gespalten sei. Während es in den Ballungszentren enormen Wohnungsmangel gebe, stünden in vielen ländlichen Regionen Immobilien leer.

»Ostdeutschland ist besonders betroffen«

Das Problem bestehe deutschlandweit. »Ostdeutschland ist dabei aber besonders betroffen, da dort die Abwanderung junger Bevölkerungsschichten stärker ist«, erklärt Henger. Dort gebe es teilweise Leerstände von mehr als 10 Prozent. Doch auch Regionen in Westdeutschland seien davon betroffen, etwa in der Eifel, Franken oder im Saarland.

Über die Hälfte der Immobilien (55 Prozent) wurde laut des Statistischen Bundesamts seit mehr als einem Jahr nicht bewohnt. In Reutlingen traf dies auf 939 Wohnungen zu (50,6 Prozent), im Landkreis auf 3.255 Wohnungen (56 Prozent). »Das ist tatsächlich struktureller Leerstand, der wird sich nicht in Luft auflösen«, sagt Matthias Waltersbacher vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Dort leitet er das Referat für Wohnungs- und Immobilienmärkte.

Rund ein Drittel der Wohnungen nach drei Monaten bezugsfertig

Nur etwas mehr als ein Drittel der leeren Wohnungen (38 Prozent) war in den nächsten drei Monaten bezugsfertig. In Reutlingen traf dies auf 665 Wohnungen zu (35,8 Prozent). In den Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin waren die jeweiligen Anteile dieser schnell verfügbaren Wohnungen mit 52 bis 61 Prozent deutlich höher. Für fast jede vierte leere Wohnung (24 Prozent) waren Baumaßnahmen oder Sanierungen geplant (Reutlingen: 21,5 Prozent). Ein Abriss war nur bei 4 Prozent der leer stehenden Wohnungen geplant (Reutlingen: 7 Prozent). 7 Prozent sollten verkauft oder von den Eigentümern selbst genutzt werden (Reutlingen: 16,5 Prozent). Für jede fünfte leer stehende Wohnung wurden »sonstige Gründe« genannt (Reutlingen: 19 Prozent).

Experten beobachten den Donut-Effekt: Am Ortsrand entstehen neue Wohngebiete, während innerstädtische Lagen verfallen. Die Gründe dafür sind laut Matthias Waltersbacher neben alter Bausubstanz auch kleinere Wohnungsgrößen, der geringere Abstand zu Nachbarn oder schlechte Parkmöglichkeiten.

Leerstand sorgt für riesige Probleme

Mit dem Leerstand gehen laut Henger vom IW Köln riesige Probleme einher. »So sinken beispielsweise durch marode Häuser auch die Immobilienwerte in der Nachbarschaft«, sagt der Ökonom. Auch Kriminalität und Vandalismus spielten eine Rolle. Außerdem müsse die bestehende Infrastruktur instand gehalten werden. Die Kosten dafür müsse die Bevölkerung tragen, die noch dort lebt. »Das ist eines der größten versteckten Probleme des Leerstands.«

»1,9 Millionen Wohnungen in Deutschland sind ein erhebliches Potenzial, das ungenutzt ist«, schätzt Waltersbacher ein. Wichtig sei es, junge Menschen in den Regionen zu halten. So sollten ihm zufolge etwa periphere Regionen kulturell mehr gefördert sowie Verkehrsanbindungen an größere Städte verbessert werden. In Zeiten, in denen mehr im Homeoffice gearbeitet wird, könnten beispielsweise auch leer stehende Wohnungen zu Co-Working-Spaces umfunktioniert werden. Um dem Leerstand zu begegnen, gibt es etwa das Wohneigentumsprogramm »Jung kauft Alt«. »Das ist ein gutes Programm, um leer stehende Wohnungen und Häuser abseits der Ballungsräume zu reaktivieren«, sagt Ökonom Henger. Einigen Kommunen hätten es bereits. Die Bundesregierung plane, das Programm bundesweit umzusetzen – »aber die Mittel sind knapp«.

Die Daten zum Leerstand stammen aus dem Zensus 2022, der auf amtlichen Registern und der Befragung von 12 Prozent der Bevölkerung zu verschiedenen Themenbereichen basiert. Laut Bundesamt erteilten bei der Gebäude- und Wohnungszählung rund 23 Millionen Eigentümer Auskünfte zu ihren Immobilien, ebenso wie rund 8.000 Wohnungsunternehmen. (dpa/GEA)