ZWIEFALTEN. Zur Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus hatten das Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Südwürttemberg und die Gemeinde Zwiefalten eingeladen. Der Gedenktag wird seit 1996 anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz begangen.
Dr. Bernd Reichelt vom Forschungsbereich Geschichte der Medizin, betonte in seiner Einführung vor rund 200 Teilnehmende im Festsaal: »Gedenkarbeit bedeutet hier für uns am Standort auch immer Erinnerungsarbeit mit jungen Menschen.« Angesichts des wiederkehrenden Rechtsextremismus und Antisemitismus in Deutschland und Europa sei diese Arbeit wichtiger und aktueller denn je.
Erinnerung lebendig halten
»Wie konnte das passieren und was können wir tun, damit das nie wieder passiert?« Mit diesen zentralen Fragen leitete Regionaldirektor Prof. Dr. Gerhard Längle seine Ansprache ein. Dabei hob er den Mechanismus der Schuldzuweisung hervor, der bereits damals fatale Folgen hatte und auch heute noch gesellschaftliche Spaltung befeuert: »Menschen, die aus akuter Verfolgung entkommen sind, wird auf dieser Basis mit tiefem Misstrauen begegnet.«
Zudem warnte er vor der Wiederaufnahme alter Denkweisen, wie etwa der pauschalen Verurteilung von Minderheiten oder benachteiligten Gruppen. Besonders ging er dabei auf die Situation psychisch kranker Menschen ein, die während des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden und auch heute oft Vorurteilen und Diskriminierung ausgesetzt sind. »Wir können – und müssen – menschenfeindlichen und menschenverachtenden Reden entgegentreten und die Demokratie und die Menschenrechte stärken, gemeinsam mit allen Menschen guten Willens, gegen die Feinde der Demokratie.«
Historiker Reichelt beleuchtete die perfiden Methoden des NS-Regimes zur Verfolgung und Unterdrückung. »Es ist erschreckend, wie schnell eine beispiellose Radikalisierung und Vernichtungspolitik in die Tat umgesetzt wurde«, erklärte er und wies auf die regionale Dimension der Verbrechen hin. Bereits 1933 wurde das KZ Heuberg eröffnet, gefolgt vom KZ Oberer Kuhberg in Ulm. »Wir alle sind aufgerufen, uns für eine Gesellschaft einzusetzen, die keinen ausschließt und sich für die Grundrechte der Demokratie stark macht.«
Schüler erarbeiten Liedtext
Die Geschehnisse während der NS-Zeit und deren Auswirkungen auf die Psychiatrie thematisierte Reichelt im Rahmen einer Unterrichtseinheit in der Berufsfachschule für Pflege des ZfP. Daraus erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler ein Lied, das sich mit den grauen Bussen befasst, die Patienten in die Vernichtungslager brachten. Zur Melodie von »Hallelujah« trug Lea Kaleck den sehr berührenden Beitrag vor. Auch die Abschlussklasse der Münsterschule hatte sich intensiv mit den Verbrechen der Nationalsozialisten auseinandergesetzt. Nach einem Besuch im KZ in Ulm rekonstruierten sie Biografien einzelner Strafgefangener und stellten dar, wie diese mit den traumatischen Erlebnissen nach ihrer Entlassung umgingen.
Nach dem gemeinsamen Gang zum Friedhof, dem sich trotz strömenden Regens viele der Teilnehmende anschlossen, erinnerte Bürgermeisterin Alexandra Hepp daran, dass sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz in diesem Jahr zum 80. Mal jährt. »Dies steht für das dunkelste Kapitel unserer Geschichte. Doch auch hier, direkt vor unserer Haustür, geschah während dieser Zeit Schreckliches.« Sie hob hervor, dass 1940 im Rahmen der sogenannten T4-Aktion mindestens 352 Patienten der Heilanstalt Zwiefalten und rund weitere 1.500 Patienten anderer Einrichtungen von Zwiefalten aus deportiert und ermordet wurden.
»Ich finde es enorm wichtig, dass wir in Zwiefalten den Gedenktag auf diese Weise begehen und die Veranstaltung so aktiv von Schülerinnen und Schülern mitgestaltet wird«, betonte Hepp. »Damit setzen Sie ein starkes Zeichen der Erinnerungsarbeit.«
Abschließend sprach Klinikseelsorger Albrecht Schmieg einen Segen, der besonders jene einschloss, die aus Angst vor Überfremdung extreme Positionen einnehmen. Zum Abschluss legten Schülerinnen der Berufsfachschule für Pflege einen Kranz am ehemaligen Anstaltsfriedhof nieder. (eg)