ZWIEFALTEN. Dem Geschichtsverein (GV) Zwiefalten unter der Leitung von Hubertus-Jörg Riedlinger war einmal mehr ein Coup gelungen: eine der selten gewordenen Aufführungen von Gerhard Hauptmanns Theaterstück »Die Weber«. Michael Herrschel begeisterte sein Publikum in dem gut gefüllten Saal im Konventbau Zwiefalten.
Nach der Schlesien-Studienreise des GV Zwiefalten im Herbst 2023 reifte die Idee, einen der berühmtesten Dichter Schlesiens hier auf die Bühne zu bringen und dazu das »Nationalgericht« Schlesisches Himmelreich zu servieren – ein Konzept, das aufging. Im gut gefüllten Saal stärkten sich die Zuhörer bei einem vom Hause Tress edel zubereiteten Menü, bevor es anstrengend, aber kurzweilig und beeindruckend wurde.
Michael Herrschel rezitierte eine gekürzte Fassung der Weber als Einpersonenstück.
Gerhart Hauptmann (1862 bis 1946) schrieb das soziale Drama in fünf Akten 1892 auch nach Berichten aus seiner eigenen Familie. Es wurde einer seiner ganz großen Erfolge, was wohl auch zu dem Literatur-Nobelpreis im Jahre 1912 beitrug.
Plastisch durch Dialekt
Hauptmann verwendet in dem Stück den schlesischen Dialekt, um seine Figuren plastisch erscheinen zu lassen. Und Michael Herrschel schlüpft mit unglaublicher Leichtigkeit und Ausdrucksstärke in schneller Folge in die verschiedenen Rollen: der verarmten Weber Baumert, Ansorge und Hilse sowie deren Frauen, der revolutionären Bäcker und Jäger, des obrigkeitstreuen Gendarmen und überforderten Pastors und all der anderen Personen.
In Windeseile entsteht das Gefüge einer Gesellschaft, in der der Parchent-fabrikant Dreißiger seine Macht ausspielt und die Löhne immer weiter drückt – bis zu Verzweiflung und Hungertod der Weber und ihrer Kinder. Und bis zum Aufstand und seiner blutigen Niederschlagung. Deutsche, nein, europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts.
Um das Stück auf die Bühne bringen zu können, hatte Hauptmann den schlesischen Dialekt etwas abgemildert – und Michael Herrschel erwischte den Tonfall in berührender Form. Ganz offensichtlich kamen einige der Zuhörer aus dem Umfeld der schlesischen Landsmannschaft, und andere hatten persönliche Wurzeln in dieser bis 1945 deutschen Region. Aber dies war keine Voraussetzung, um Herrschel folgen zu können. Und so kreisten nach der Aufführung die Gespräche an den Tischen um die Fragen der Ausbeutung in heutiger Zeit, der Identität Schlesiens, des Wesens von Heimat, der Relevanz von Dialekt und Mundart und der großartigen Leistungen des Autors, Rezitators und Musikers Michael Herrschel und nicht zu vergessen der Tress-Gastronomie. (eg)
SCHLESISCHE KULTUR
Weiter geht das Thema Geschichte, Literatur und Kultur Schlesiens mit dem Vortrag »Schlesien – eine Kulturregion im Herzen Europas«, ein Vortrag zu Geschichte und Gegenwart am Dienstag, 22. Oktober, in der Stadtbücherei Pfullingen um 19 Uhr und in großem Maßstab mit einer zweiten Studienfahrt Schlesien vom 24. September bis zum 4. Oktober 2025 ab Zwiefalten über Prag nach Ober- und Niederschlesien. Zu beidem sind Interessierte willkommen. (v)