KERNEN-STETTEN/GRAFENECK. Insgesamt 406 Menschen mit Behinderungen wurden während der NS-Zeit mit den sogenannten »grauen Bussen« aus der damaligen Anstalt Stetten abgeholt und in den Tötungsanstalten Grafeneck und Hadamar ermordet. Am 27. Januar ist der jährliche Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Für die Diakonie Stetten ist das Gedenken an die Opfer der NS-»Euthanasie« ein ständiger Begleiter. Im vergangenen Jubiläumsjahr beschäftigte sich die Einrichtung immer wieder auf verschiedene Weise mit der Zeit des Nationalsozialismus, und auch in diesem Jahr findet wieder eine inklusive Fortbildung über die Gedenkstätte Grafeneck statt.
In Grafeneck auf der Schwäbischen Alb begann im Januar 1940 der systematische und planmäßige Mord an Menschen mit Behinderungen. Auch Menschen aus der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Stetten wurden in den »Grauen Bussen« dorthin deportiert und gleich nach ihrer Ankunft in der Gaskammer umgebracht. Die Anstalt Stetten selbst wurde beschlagnahmt und geschlossen.
Biografie über junge Ärztin
Ein Gedenkstein mit der eingravierten Zahl der Opfer aus Stetten liegt seit vergangenem Jahr in der Gedenkstätte Grafeneck und erinnert an die furchtbaren Schicksale der ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Stetten. Im Dezember veröffentlichte die Diakonie Stetten in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Grafeneck eine Biografie über Leonie Fürst, die als junge Ärztin in der Anstalt Stetten Widerstand gegen die NS-»Euthanasie« leistete. Kathrin Bauer, Mitarbeiterin der Gedenkstätte Grafeneck, be-schreibt in dem Werk mit dem Titel »Oh, ich hasse es, dieses Pack«, wie die junge Ärztin monatelang um die Bewohnerinnen und Bewohner sowie die Existenz der Einrichtung als Ganzes rang.
»Die Zeit des Nationalsozialismus ist das dunkelste Kapitel in der Geschichte der Diakonie Stetten. Dieses darf nicht in Vergessenheit geraten, ebenso wenig wie die Menschen, die sich gegen das Unrechtsregime gestellt haben«, betont Dietmar Prexl, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Stetten. Auch heute gelte es, sich mutig und mit ganzem Herzen für Menschen einzusetzen, die ausgegrenzt werden. Die Zeit des Nationalsozialismus dürfe sich niemals wiederholen. »Wir leben in einer Zeit, in der der Rechtspopulismus wieder viel Zulauf und Zuspruch erfährt. Wir können die ›Euthanasie‹-Verbrechen nicht ungeschehen machen. Aber wir können gedenken und uns an Tagen wie heute immer wieder in Erinnerung rufen, dass wir Verantwortung für unser eigenes Handeln aufbringen müssen. Es bleibt unsere dauernde gemeinsame Aufgabe, sich gegen das Vergessen zu stellen und aus der Geschichte zu lernen«, sagt Dietmar Prexl.
Bemühungen ziehen weite Kreise
Der Bereich Bildung und Qualifizierung der Remstal Werkstätten bietet seit einigen Jahren Fortbildungen für Menschen mit Behinderungen über die Zeit des Nationalsozialismus an. Die Fortbildungen und die Kooperation der Diakonie Stetten mit der Gedenkstätte Grafeneck zog nach und nach weite Kreise: So ist in den vergangenen Jahren zum Beispiel Unterrichtsmaterial in einfacher Sprache zu den nationalsozialistischen Verbrechen in Grafeneck entstanden, und Menschen mit Behinderungen referieren bei Veranstaltungen mit. Im vergangenen Jahr fand neben der Gedenkfeier im Rahmen des Jubiläumsjahres noch eine gemeinsame Exkursion zur Gedenkstätte Grafeneck mit einer Schulklasse der Rumold Realschule aus Rommelshausen statt.
»Wir haben zusammen mit Mitarbeitenden der Remstal Werkstätten und den Schülern die Gedenkstätte besichtigt, und es fanden dort zwei Workshops statt. Es war ein sehr interessanter Nachmittag, und wir haben schöne Begegnungen erlebt«, erzählt Antje Krestel, Mitarbeiterin im Bereich Bildung und Qualifizierung der Remstal Werkstätten.
Interessierte Schulklassen könnten sich jederzeit für eine gemeinsame Exkursion zur Gedenkstätte melden. Auch in diesem Jahr findet am Freitag, 25. April, um 13 Uhr wieder eine inklusive Fortbildung zur Geschichte in Grafeneck in Kernen statt, zu der noch Anmeldungen möglich sind. (pm)
DIE PUBLIKATION
Die Publikation von Kathrin Bauer »Oh, ich hasse es, dieses Pack« ist über die Diakonie Stetten und über die Gedenkstätte Grafeneck erhältlich über folgende Kontakte: Diakonie Stetten e. V., E-Mail: info@diakonie-stetten.de, Telefon: 07151 940-0; Gedenkstätte Grafeneck, Dokumentationszentrum, E-Mail: info@diakonie-stetten.de, Telefon: 07385 966206. Zudem kann die Publikation online auf der Webseite der Diakonie Stetten heruntergeladen werden. Sie ist unter den Reitern »Über uns« und »Geschichte« zu finden. (pm) www.diakonie-stetten.de/