PFULLINGEN. Seit 2015 wird jedes Jahr am 8. November auf die Situation von Kindern aufmerksam gemacht, die damit leben müssen, dass Mutter oder Vater an Krebs erkranken. »Eine Krebsdiagnose stellt das Leben der gesamten Familie auf den Kopf. Die Belastung der Kinder wird oft nicht erkannt. Der heutige Tag ist deshalb enorm wichtig, um diesen Kindern Gehör zu verschaffen und ihre Bedürfnisse sichtbar zu machen. Er ist aber auch eine gute Gelegenheit, auf konkrete Hilfs- und Unterstützungsangebote hinzuweisen und Eltern zu ermutigen, diese Hilfe auch tatsächlich anzunehmen«, macht Thomas Reumann, Vorsitzender des gemeinnützigen Fördervereins Sonnenstrahlen für Kinder/Jugendliche krebskranker/schwerkranker Eltern die besondere Bedeutung dieses Tages deutlich.
Das Robert Koch-Institut schätzt auf Basis des Krebsdatenregisters, dass es aktuell 150.000 Minderjährige mit erkrankter Mutter oder Vater gibt, also rund ein Prozent aller Kinder und Jugendlichen. Diese Kinder erleben eine Doppelbelastung, bei deren Bewältigung sie Unterstützung brauchen. Sie müssen mit der eigenen Unsicherheit und Angst umgehen und gleichzeitig die Belastung ihrer erkrankten Eltern miterleben.
»Unsicherheiten, Ängste und Sorgen – das sind normale Reaktionen von Kindern auf eine außergewöhnliche Situation. Aber sie besitzen noch nicht die Verarbeitungsmechanismen, die Erwachsene haben«, sagte Bianca Senf, Professorin für Psychoonkologie an der Evangelischen Hochschule Darmstadt, im Juli auf einem vom Förderverein veranstalteten Fachsymposium. Allerdings könne man gut vorbeugen und viel Kummer verhindern. Kinder wollten ernst genommen werden, dazu brauche es aber eine ehrliche, altersgerechte Kommunikation.
Versorgungslücke im System
Der Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitätsklinik Tübingen, Professor Tobias Renner, verdeutlichte, dass aus der Belastung, die die jungen Menschen so früh erfahren, im späteren Leben eine psychische Erkrankung entstehen könne. Genau deshalb müssten die Bedürfnisse und Herausforderungen der Kinder früh verstanden und diese bei deren Umsetzung und Bewältigung unterstützt werden.
Die Begleitung und Unterstützung der Kinder und Jugendlichen sei daher eine ganz konkrete Hilfe in einer aktuell belastenden Lebenssituation und eine wichtige Präventionsarbeit für deren zukünftiges Leben, erläutert Reumann das Selbstverständnis des Fördervereins Sonnenstrahlen. Es bestehe eine Versorgungslücke im Gesundheitssystem, da die Betroffenen Kinder in der ärztlichen und klinischen Routine oft nicht ausreichend wahrgenommen werden. Hier setze die Arbeit von Sonnenstrahlen an. »Wir setzen uns dafür ein, dass diese Kinder schnell und unbürokratisch die Unterstützung und Begleitung bekommen, die sie brauchen«, so Reumann. Der Verein arbeite mit drei besonders geschulten Therapeutinnen in den Bereichen Kunsttherapie, Ergotherapie sowie pferdegestützte Therapie zusammen. »So können wir individuell auf das jeweilige Kind ausgerichtete Hilfs- und Unterstützungsangebote anbieten. Die Angebote sind für die Familien kostenfrei, da alle Aufwendungen vom Förderverein getragen werden«, unterstreicht Reumann.
Die Finanzierung des gemeinnützigen Vereins erfolge im Wesentlichen über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Dank der Unterstützung vieler großherziger Menschen und großzügiger Unternehmen könne Sonnenstrahlen bereits seit 2010 Kinder und Jugendliche und deren Familien unterstützen. Allein im Jahr 2023 konnten 32 Kinder aus 29 Familien begleitet werden. (eg)