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Jakob Reiter trainiert seit 25 Jahren die Pfullinger Jedermänner

Jakob Reiter trainiert die Pfullinger Jedermänner seit 25 Jahren. Er hat sich vom Handball über den Skilehrer zum innovativen sensomotorischer Trainer entwickelt. Über einen Enthusiasten, der sein Leben der Bewegung widmet.

Hier trainiert er »seine« Jedermänner: Jakob Reiter auf dem Hocker vor der Schönberghalle.
Hier trainiert er »seine« Jedermänner: Jakob Reiter auf dem Hocker vor der Schönberghalle. Foto: Andreas Stephan
Hier trainiert er »seine« Jedermänner: Jakob Reiter auf dem Hocker vor der Schönberghalle.
Foto: Andreas Stephan

PFULLINGEN. Quirlig, lebendig, spontan. Schon in den ersten Minuten zeigt sich deutlich, welche Lebensenergie in Jakob Reiter steckt. In Pfullingen ist der 75-Jährige seit vielen Jahren durch sein Fitnesstraining mit der Jedermann-Gruppe des VfL Pfullingen bekannt, die sich einmal wöchentlich in der Schönberghalle trifft. Und genau da sind wir verabredet. Nur leider sind die Türen der Halle verschlossen. »Das gibt's doch nicht. Normalweise sind die nie zu«, fährt es aus ihm heraus. Aber kein Problem. Ganz spontan setzen wir uns für das Gespräch auf die Stufen vor die Halle. Oder vielmehr sitze ich. Er steht, läuft, zappelt, erzählt.

Reflexe sind das A und O

Und kaum hat er angefangen zu sprechen, wird bald klar, wie sehr er in seinem Thema aufgeht. Das sensomotorische Training hat es ihm angetan. Hier stehen Stabilität, Mobilität und Koordination im Vordergrund. Er predigt: »Reflexe! Alles geht über Reflexe! Die muss man trainieren und entwickeln.« Von bloßem Krafttraining hält er nichts. »Was soll die ganze Kraft, wenn ich sie nicht einsetzen kann?«

Der passionierte Übungsleiter hat sich schon früh dem Sport verschrieben, von Kindesbeinen an spielte er Handball in Oberhausen. Später wechselte er nach Unterhausen, dort blieb er bis zu seinem 33. Lebensjahr. Noch mehr als Handball hat ihn aber das Skifahren geprägt. Bei einem Urlaub mit Freunden wurde der damals 18-jährige Reiter kurzerhand als Skilehrer eingesetzt. »Da habe ich meine Leidenschaft für das Lehren entdeckt«, sagt er.

Im Ehrenamt gereift

Bis zum Landesausbilder des Schwäbischen Skiverbands hat er es schließlich gebracht. Und während dieser Zeit viele Kurse geleitet und Vorträge gehalten. Sehr häufig habe er vor 70 oder mehr Leuten sprechen müssen. Über diese Tätigkeit sagt er: »Ich empfehle jedem jungen Menschen, ein Ehrenamt zu ergreifen, um zu reifen.« Denn: »Es ist eine wichtige Sache, wenn junge Leute sich beweisen müssen.«

Bei seiner Arbeit für den Skiverband erkannte Reiter, wie viele Sportler sich tatsächlich verletzen. »Verletzungsprophylaxe ist wichtig«, sagt er deshalb. Und vielerorts werde falsch trainiert. Also nahm er sich selbst des Themas an. Viele Erfahrungen hatte er aus seiner Handball- und Skiausbilderzeit schon gesammelt, zudem »googelte« er. Und las sich so mehr und mehr in die Materie ein. Das Ergebnis ist ein Trainingskonzept, das »ganzheitlich« ansetzt. Nicht nur einzelne Muskelgruppen werden trainiert, sondern die Bewegung als Ganzes betrachtet. Dabei spielt für Reiter immer eine sehr große Rolle, »dass der Körper in der Mitte ist«. Gleichgewicht also, Reaktionen, volle Bewegungsumfänge. Das demonstriert er gleich, springt auf, steht auf einem Bein, geht in die Hocke. Und fällt nicht um.

In der Schönberghalle zu Hause

Inzwischen ist auch die Tür der Schönberghalle aufgegangen. Eine Schulklasse hat Sportunterricht. Schnell hat Reiter seinen Rucksack gepackt und wir gehen rein. In der Halle sucht er direkt mit dem Lehrer den Dialog und fragt nach einem Zeitfenster für das Bild, das wir machen wollen. Von ihm in »seiner« Schönberghalle. Kurz darauf ist es im Kasten.

Jakob Reiter sitzt locker in der Schönberghalle auf dem Hocker.
Jakob Reiter sitzt locker in der Schönberghalle auf dem Hocker. Foto: Andreas Stephan
Jakob Reiter sitzt locker in der Schönberghalle auf dem Hocker.
Foto: Andreas Stephan

Und genau hier begeistert er jede Woche seine Jedermänner. Eine Stunde, ohne Pause. Reiter trägt ein Headset, lässt Musik laufen, animiert und motiviert. Seine Gruppe steht dann mit Brettern auf Rollen, hält das Gleichgewicht auf Pezzibällen oder bekommt Flexibars in die Hände. Er selbst demonstriert. »Da staunt schon Mancher, wenn der Opa auf der Rolle steht«, sagt er selbstironisch. Die Geräte, die er für sein Training braucht, lagern in der Halle. Er hat sie alle selbst entworfen oder gebaut. Seine Jedermänner, im Alter von 27 bis 86 Jahren, machen alles mit. Und bekommen Reiters Übungen hin. »Man muss es nur richtig aufbauen, dann kann das jeder«, ist er überzeugt. Den Erfolg sieht er regelmäßig: »Ich habe Videoclips von den Teilnehmern, da schnallst du ab.«

Erstkontakt beim Faustball

Aber auch ohne ihren Übungsleiter sind die Jedermänner aktiv. Schon seit Jahren unternimmt die Gruppe auch außerhalb des Trainings vieles. Und sie organisiert jährlich ein Volleyball- und ein Faustballturnier. Vor 25 Jahren ist Reiter bei diesem Anlass von Gerd Schellenberg angesprochen worden, ob er nicht der Übungsleiter der Pfullinger Jedermänner sein wolle. Er stimmte zu. »Und dann stand ich da zum ersten Training mit meinem Kofferradio und meinem Pezziball. Da haben die erst mal geguckt«, erinnert er sich. Offensichtlich hat es ihnen aber gut gefallen.

Inzwischen sitzen wir wieder auf den Stufen vor der Halle. Auch außerhalb der Schönberghalle hat der ehemalige Industriemechaniker viel von seinem Training gelehrt. Vor allem auf professioneller Ebene. Mit seinem Trainingskonzept machte er auf sich aufmerksam und das führte ihn als sensomotorischer Trainer in die zweite und die erste Handball-Bundesliga bei diversen Vereinen. Darüber hinaus ist seine Expertise immer noch gefragt als Dozent an der Volkshochschule. Und erst kürzlich hielt er einen Vortrag im Finanzamt. »Da habe ich sowas noch nie gemacht«, erzählt er. Mit einem ganzen Manuskript-Stapel habe er sich vorbereitet, am Ende brauchte er es überhaupt nicht. »Mei Gosch isch gloffa«, sagt er in breitestem Schwäbisch. Er geht in dem Thema auf.

Zeit für den Nachwuchs

Obwohl fast sein ganzes Leben von seiner sportlichen Arbeit geprägt war (und ist) und er nie genug bekommen konnte von Trainingsmethoden, Faszien und Reflexen, gibt es doch auch die Zeit, in der Reiter sich auch mit anderen Dingen beschäftigt. Mit seiner Frau fahre er am Wochenende gerne Rad, erzählt er. »Jedes Mal 70 bis 80 Kilometer«, merkt er an. Und viel Zeit nehme auch noch etwas anderes in Anspruch: »Meine beiden Enkelkinder«. Als er sie erwähnt, wirkt er zum ersten Mal im Gespräch ruhiger und gelassener. Er lächelt. Nur, um sofort wieder in seine Welt zu fallen: »Gerade bei dem Kleinen sieht man ganz genau, wie lange Reflexe brauchen, um sich zu entwickeln.« (GEA)