METZINGEN/STUTTGART. Zahlreiche Vertreter von Dialekt- und Mundartvereinen, der Dialektforschung sowie Mundartkünstler haben auf Anregung der Dialektinitiative im Landtag von Baden-Württemberg im Hospitalhof in Stuttgart einen gemeinsamen landesweiten Dachverband gegründet. Zum Vorsitzenden des »Dachverbandes der Dialekte Baden-Württemberg (DDDBW)« wurde Dr. Martin Kistler, Landrat in Waldshut-Tiengen, gewählt. Beisitzerin im Vorstand ist Jeanette Rzyski-Knab aus Metzingen vom Verein Mundartgesellschaft Württemberg aus Reutlingen. Schwerpunkte der Arbeit des neuen Dachverbandes werden die landesweite Vernetzung aller Vereine, Wissenschaftler, Künstler und interessierter Einzelpersonen bei Dialekt und Mundart sein sowie das gemeinsam abgestimmte Auftreten mit einer Stimme gegenüber Medien, Politik und Gesellschaft.
78.000 Euro Zuschuss
Laut dem CDU-Landtagsabgeordneten Manuel Hailfinger stehen dem landesweiten Dachverband ab Gründung jährlich und dauerhaft 78.000 Euro Zuschuss durch das Land Baden-Württemberg zur Verfügung. Darüber hinaus stellt das Land ab 2024 50.000 Euro für Mundartpreise zur Verfügung. "Dies war eine Initiative aus unserem Kreis von über 50 Landtagsabgeordneten, mit dem wir über soziale Medien sowohl jüngere Künstlerinnen und Künstler als auch junge Menschen im Allgemeinen erreichen wollen", so der Abgeordnete aus dem Wahlkreis Hechingen-Münsingen auf der Schwäbischen Alb. Hailfinger betont weiter: "Die Mundarten sind ein zentraler Bestandteil der baden-württembergischen Identität und für viele Baden-Württemberger der Inbegriff von Heimat. Jede Mundart verfügt über einen eigenen Reichtum an Wörtern, Redewendungen und sprachlichen Bildern.
Um dieser Vielfalt willen und unabhängig von ihrem praktischen Nutzwert sollen die Mundarten erhalten werden, und zwar nicht nur im Museum, sondern auch im sprachlichen Alltag."
Bis in die 1960er-Jahre war das Sprechen im Dialekt besonders auf dem Land und in Kleinstädten der Alltag in Baden-Württemberg. Seither veränderten sich die Dialekte und der Dialektgebrauch in mehrfacher Hinsicht.
Erstens veränderten sich die Ortsdialekte selbst: Während sie noch in den 1960er- und 1970er-Jahren auf ihren mittelhochdeutschen Ursprung zurückverfolgt werden konnten, kam es seither zu einem Bruch in der Dialektentwicklung.
So empfand die Generation der nach dem Zweiten Weltkrieg Geborenen die aus dem Mittelhochdeutschen abgeleiteten Lautungen als zu dialektal und veränderte einzelne Lautungen in Richtung der Standardsprache. Die Dialekte beziehen ihre Lautungen heute somit sowohl aus dem Mittelhochdeutschen als auch aus der Standardsprache.
Zweitens verringerten sich die Gebiete und Situationen, in denen Dialekt gesprochen wird. Zwar spielen die veränderten Dialekte auf dem Land und in Kleinstädten nach wie vor eine große Rolle im familiären und vertrauten Umfeld, in offiziellen Situationen geht man aber auch dort Richtung Standardsprache. In Ballungszentren finden sich heute bereits weitgehend dialektfreie Zonen. Dazwischen gibt es Gebiete, in denen sich die Ortsdialekte zu einer großflächigeren und standardnäheren Regionalsprache gewandelt haben und noch weiterhin wandeln.
Die Hauptursache für diese Veränderungen ist – neben der Verbreitung der standardsprachlichen Massenmedien – die gestiegene Mobilität, die die Dialektsprecher vermehrt mit anderen Dialekten und mit der Standardsprache in Kontakt bringt. Dies gilt insbesondere für die Berufspendler.
Norddeutsche Regionalismen
In den 1970er-Jahren verbreitete sich die Ansicht, dass das Dialektsprechen eine Sprachbarriere und ein Karrierehemmnis sei. Eltern hörten in dieser Zeit zunehmend auf, die Mundarten an ihre Kinder weiterzugeben.
Die dritte Entwicklung ist deshalb die abnehmende Dialektkompetenz von Kindern und Jugendlichen, die alltäglich zu beobachten ist. Eine Studie über die Dialektkompetenz von Kindergartenkindern aus Bayerisch-Schwaben kam zu dem Ergebnis, dass dort auf dem Land noch circa 26 Prozent der zwei- bis sechsjährigen Kinder Dialekt, in Städten ab 10.000 Einwohnern noch etwa 15 Prozent, in Großstädten 7 Prozent sprechen.
Eine vierte Entwicklung, die für die Akzeptanz der Mundarten indirekt von Bedeutung ist, betrifft die Standardsprache in Baden-Württemberg, die zunehmend norddeutsch wird.
So zeigt beispielsweise eine Untersuchung unter Referendaren des Faches Deutsch im Regierungsbezirk Stuttgart, das norddeutsche Regionalismen bei einer Wahl zwischen süddeutscher und norddeutscher Variante bevorzugt werden. Diese Entwicklung fördert die Ablehnung süddeutscher Sprachvarietäten als vermeintlich falsche Sprechweisen. (eg)