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Wilde Putzfrauen in der Reutlinger Zelle

Die Band Cleanin’ Women präsentiert auf »Lost Tapes« auch Song-Mitschnitte aus Reutlingen.

Jugendzentrum Kulturschock Zelle
Das Reutlinger Jugendzentrum Zelle. Foto: Stephan Zenke
Das Reutlinger Jugendzentrum Zelle.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. Die Band Cleanin’ Women um den nach Berlin ausgewanderten Schwaben Udo Schöbel wird 40 Jahre alt. Auf der aktuellen Platte sind zwei uralte Song-Mitschnitte aus der Reutlinger Zelle zu hören.

Ein vergessener alter Schuhkarton mit Audio-Kassetten in vergilbten Hüllen ist dafür verantwortlich, dass die wilden 1980er-Jahre plötzlich wieder da sind. Es tauchten nämlich alte Cleanin’-Women-Aufnahmen aus den Jahren 1984 bis 1996 auf. Die »Lost Tapes« stammen von diversen Konzert-Mitschnitten – so auch von einem Auftritt im Mai 1985 in der Reutlinger Zelle. Wer das auf Vinyl gepresste Material hört, ist von der Wucht der Songs überwältigt: »Diese Energie ist unschlagbar, deshalb haben wir gesagt: Das muss in die Welt«, sagt Bandleader Udo Schöbel.

Der Frontmann der Cleanin’ Women und Mitgründer des Berliner Pop-Trios Minibeatclub holte die Kassetten in seine heutige Wirkungsstätte Berlin. »Schieb mal rüber«, sagte ein dortiger Freund. Tonmeister und Filmrestaurator Jürgen Schulz holte das Maximale aus dem Rohmaterial heraus: »Der Sound bei den ersten Stücken ist ziemlich rau«, sagt der Stuttgarter Schlagzeuger Eberhard Scholl. Das habe man bewusst so belassen, um die Authentizität zu wahren.

»Wir wollten keine perfekten Songs vortragen«

Alte Klassiker von Jimmy Reed, Pretty Things, Chuck Berry und den Yardbirds sind auf der Platte zu finden. Aber sie klingen bei den Cleanin’ Women lauter, schneller und ungeschliffen. Es ist ein Shabby-Sound – wie mit dem Schwingschleifer und Sandpapier bearbeitet. So auch bei den in der Zelle mitgeschnitten Songs »Saturday Night« von Udo Schöbel oder auch »Time Of The Season« von Rod Argent (The Zombies).

Tempomäßig geht bei den »Lost Tapes« der Punk ab. »Too Much Monkey Business«, ein Chuck-Berry-Song, durchbricht in der Cleanin’-Women-Fassung fast die Schallmauer. Auf den alten Bändern tauchten auch Songs auf, die in der Versenkung verschwunden waren. Schöbel war baff: »Den Song ›Be There‹ hatten wir 1996 mal im Schlesinger in Stuttgart gespielt. Ich hatte vergessen, dass ich den jemals geschrieben hatte.«

Die Cleanin’ Women schlugen vor vier Jahrzehnten eine laute, bunte und freche Schneise in die damals nicht gerade vergnügungssteuerpflichtige schwäbische Kulturlandschaft. Mit schnellen Beats, schrillen Outfits und kreativer Girl-Group-Power fegten sie die biedere Langeweile weg: »Wir haben gespürt, dass der Grauschleier des Pietismus, der über Stuttgart lag, bekämpft werden musste. Und Party zu machen, war damals schon fast Revolution«, erinnert sich der vor 25 Jahren nach Berlin ausgewanderte Gitarrist, Songwriter, Musikproduzent und Cartoonist Schöbel.

Die Chemie der Band stimmt von Beginn an, die Frauenquote auch: »Bei uns saßen halt nicht vier oder fünf Jungs mit Bier und Nüsschen im Probenraum herum. Wir hatten jede Menge weibliche Energie in der Band.«

Die Band haut in ihrem Gründungsjahr gleich ihr erstes Musikvideo raus: »Come On«. Der erste Karriere-Schub kam 1986: »Im November dieses Jahres hatten wir einen Dreh mit dem Filmemacher Rolf Wolkenstein in Berlin«, berichtet Schöbel. »It’s Summer Again« wird eingespielt, der Clip wird Teil des ZDF-Fernsehspiels »Riff«.

Abends spielten die wilden Putzfrauen im von Hausbesetzern betriebenen Club KOB in Berlin. Der damalige »taz«-Kritiker Willy Theobald schrieb: »Die Damen transportierten unverbrauchtes Girl-Group-Feeling, alle Musiker ackerten, als ginge es um ihr Leben.«

»Wir wollten den Moment anzünden«

Im Sommer 1987 tauchten die wilden Schwabenfeger kurzfristig ins Jetset-Leben von Marbella ein. Die Cleanin’-Women-Crew war für mehrere Wochen im »Club Comedia« nahe dem Jachthafen von Puerto Banús an der Costa del Sol gebucht. Die Reichen und Schönen waren begeistert. Im Nachbarclub spielten damals die schon etwas in die Jahre gekommenen Dozy, Beaky, Mick & Teach für die reichen Engländer. »Bei uns ging es dagegen eher international zu.«

Es war ein kreativer Haufen, der da in den 1980er- und 90er-Jahren auch durch die schwäbische Provinz und die vielen Clubs, Lokale, Hallen und Jugendhäuser tingelte. Auftritte im Ulmer Café 113, in der Stuttgarter Röhre und eben in der Reutlinger Zelle waren dabei.

Für Schöbel war wichtig: »Wir wollten keine perfekt einstudierten Songs vortragen, wir wollten den Moment anzünden.« Das gelang ihnen auch 1996 im Club »Unbekanntes Tier« in Stuttgart. Diesmal gesellte sich Thomas D. von den Fantastischen Vier dazu. Mit blonder Perücke trat er als Cleanin’ Woman in Aktion.

»Es ist schon ein Wunder, dass das alles nun schon 40 Jahre so läuft«, sagt Conny Silbermann. Die Cleanin’-Women-Sängerin, die in Stuttgarts City eine Goldschmiede-Werkstatt betreibt, erinnert sich an die Anfänge: »Wir haben uns eine aufregendere Stadt gewünscht.«

Das einst cleane Image kann Stuttgart inzwischen getrost in die Tonne treten. Vieles hat sich geändert. Aber eines sei über die Jahre geblieben, ergänzt Schöbel: »Stuttgart hat nie kapiert, dass Kultur aus Subkultur entsteht.« Die Cleanin’-Women-Crew hat sich davon nicht beirren lassen und über 450 Auftritte in 40 Jahren hingelegt. (GEA)