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Aktuell VOR DER PREMIERE

Tübinger Zimmertheater bringt »Nee, ich bin bloß fett geworden …«

Das Tübinger Zimmertheater bringt mit »Nee, ich bin bloß fett geworden …« die Kinderfrage auf die Bühne

Beim Videodreh auf dem Neckar: Anaela Dörre als Pirat.  FOTO: ZIMMERTHEATER
Beim Videodreh auf dem Neckar: Anaela Dörre als Pirat. FOTO: ZIMMERTHEATER
Beim Videodreh auf dem Neckar: Anaela Dörre als Pirat. FOTO: ZIMMERTHEATER

TÜBINGEN. Tick, tack, tick, tack – die Zeit läuft. Und irgendwann ist sie dann auch unwiederbringlich abgelaufen – zumindest für Frauen. Sie sollen nicht nur zur richtigen Zeit und im richtigen Alter Mutter werden und dabei auch noch beruflich erfolgreich, selbstständig und zufrieden sein. Sie sollen dies alles sogar noch in einem relativ überschaubaren Zeitintervall von drei Jahrzehnten schaffen.

Unter dem Titel »Nee, ich bin bloß fett geworden …« feiert am Samstag, 16. November, ein Schauspiel-Solo zur Kinderfrage mit Anaela Dörre Premiere im Tübinger Zimmertheater. 50 Jahre nach der Frauenbewegung der 68er sind die Konzepte von Weiblichkeit, die über bloße Mutterschaft hinausgehen, zwar alles andere als revolutionär. Aber konservative Kräfte in der Gesellschaft werden wieder stärker, und erneut ist die Rolle der Frau Politikum.

Peer Mia Ripberger und Anaela Dörre sind genau dieser Reduzierung von Frauen – auf ein Mutterdasein – mit der Produktion »Nee, ich bin bloß fett geworden …« auf den Grund gegangen. Warum mischt sich die Gesellschaft überhaupt in diese höchstpersönlichen Entscheidungen junger Frauen ein? Wieso erlaubt man sich übergriffige Blicke auf den Bauch und warum wird es pauschal als höchstes Lebensziel angesehen, Kinder zu kriegen? Anaela Dörre begegnet Figuren aus »Peter Pan«, die ihre Selbstzweifel in federleichten Dialogszenen mit Feenstaub bestäuben. Zimmertheater-Dramaturg Ilja Mirsky sprach mit ihr und Autor und Regisseur Ripberger.

Du spielst nicht nur eine Figur, sondern alle zehn Figuren der Inszenierung. Gibt es rasante Kostümwechsel oder wie habt ihr das gelöst?

Anaela Dörre: Ohne zu viel verraten zu wollen: Wir haben aufwendige Videos gedreht. Die Figuren begegnen mir als digitale Gesprächspartner, auf der Bühne selbst bleibe ich, wer ich bin. Ich selber. Eine 30-jährige Schauspielerin, die sich fragt, was sie von der ganzen Kinderkriegerei halten soll. Das Thema ist total persönlich. Und ich glaube, dass sehr viele Frauen sehr genau wissen, wovon das Stück handelt.

Der Titel »Nee, ich bin bloß fett geworden« …

Dörre: … ist die Beantwortung der implizit oder explizit – aber auf jeden Fall unerwünscht – an Frauen gerichteten Frage, wie man es denn nun mit dem Kinderkriegen halte. Diese Frage, diese Blicke – es steckt so viel Gewalt in ihnen, dass der Titel des Stücks in der Tat eine Art Standardformel für mich geworden ist; eine Antwort, die vielen Frauen hilft, sprachlich zu vermitteln, dass die Frage an sich eine Übergriffigkeit ist, die man sich lieber sparen sollte.

Für die Videodreharbeiten seid ihr sprichwörtlich als Nixen baden gegangen.

Peer Mia Ripberger: Ja, und tatsächlich am Tag vor der Debatte über die hyperrealistische Skulptur der badenden Venus im Gemeinderat. Unser Stück hat damit aber nicht das Geringste zu tun. Wir haben die Figuren aus Peter Pan in verschiedenen Szenerien gefilmt. Aufsehenerregend war das wohl schon, als wir da als Meermädchen im Neckar unterwegs waren. Wir haben im Vorfeld einen Meermädchenschwimmkurs in Waiblingen absolviert. Das gibt’s wirklich! Die Leute sind fast aus dem Stocherkahn gefallen, als die uns gesehen haben.

Wieso greift Ihr auf »Peter Pan« zurück?

Dörre: Weil die zentralen Motive des Dramas mit unserer Fragestellung wunderbar zusammengehen: das (für Captain Hook) unerträgliche Ticken der Uhren, das Nimmerland als Ort, an dem man nicht erwachsen werden muss, die Aufhebung von Zeit und Alter als beschränkende Kategorien. Das ist eine wunderbare Parabel für das, was möglich wird, wenn man fest daran glaubt.

Ihr wählt also einen popkulturellen Zugriff auf ein sehr persönliches, zugleich aber gesellschaftspolitisches, feministisches Thema – und macht daraus politisches Theater?

Ripberger: Die Frauenbewegung der 1970er-Jahre hat die Politik der ersten Person als Konzept begründet. Die Parole hieß: Das Private, das Persönliche ist politisch. Das gilt auch hier. Wir könnten dieses Thema nicht auf die Bühne bringen, wenn Anaela selbst nicht gesagt hätte, das will ich jetzt machen. So ein Thema kann man einer Schauspielerin nicht antragen. Deshalb haben wir die Stückfassung auch absolut gleichberechtigt gemeinsam entwickelt. Der Rückgriff auf die literarische Figur Peter Pan, die der schottische Dramatiker James M. Barrie zum Leben erweckt hat, macht großen Spaß.

Dörre: Ich finde das Märchen einfach faszinierend, und es bietet etwas an, um sich die Frage nach dem eigenen Lebenszweck immer wieder neu einleuchten zu lassen. (eg)

 

AUFFÜHRUNGSINFO

Weitere Aufführungen des Stücks sind am 21., 22., 23., 28., 29. und 30. November und am 5., 6., 7., 12. und 13. Dezember. Am 22. November wird zudem ein Nachgespräch angeboten. (GEA)

www.zimmertheater-tuebingen.de