Logo
Aktuell KOMMENTAR

Rücktritt von Fawzi Haimor: Verlust eines Sympathieträgers

Fawzi Haimor ist seit September 2017 Chefdirigent der Württembergischen Philharmonie Reutlingen.   FOTO: JÜRGEN LIPPERT
Fawzi Haimor war seit September 2017 Chefdirigent der Württembergischen Philharmonie Reutlingen. FOTO: JÜRGEN LIPPERT
Fawzi Haimor war seit September 2017 Chefdirigent der Württembergischen Philharmonie Reutlingen. FOTO: JÜRGEN LIPPERT

Falls noch jemand geglaubt haben sollte, Corona werde in der Kultur keine bleibenden Schäden hinterlassen, kann er/sie diese Illusion getrost begraben. Mit Fawzi Haimor hat die Württembergische Philharmonie einen Chefdirigenten verloren, der in vielerlei Hinsicht geradezu ideal die Philosophie des Orchesters verkörperte. Und Schuld daran ist letztlich die räumliche Situation, die ihn in der Pandemie von seinem Ensemble abgeschnitten hat.

Das Erbe, das er antrat, war schwierig, weil sein Vorgänger so erfolgreich war. Der in Wien lebende Schwede Ola Rudner, am Ende orchesterintern nicht mehr unumstritten, hatte es wie kein Dirigent vor ihm geschafft, als Identifikationsfigur die Sympathien zu bündeln. Nach langer Suche war es der arabischstämmige US-Amerikaner Haimor, dem es gelang, diese Linie auf eine zeitgemäße Art fortzuführen.

Durch seinen Hintergrund im Nahen Osten verkörperte Haimor jene Begegnung der Kulturen, die das Orchester zu einem Pfeiler seines Selbstverständnisses gemacht hat – man nehme nur das vielgelobte »Fugato«-Projekt mit Geflüchteten. Mit Uraufführungen von Komponisten aus seinem Umfeld, etwa dem Klarinettenkonzert von Kareem Roustom, das die Problematik der Bootsflüchtlinge aufgriff, thematisierte Haimor das auch ganz direkt. Zudem hatte er als Amerikaner eine Affinität zu Pop und Jazz – Genres, die durch die Kaleidoskop-Konzerte bei der WPR zuletzt immer wichtiger wurden.

Gleichzeitig fand er zu einem Umgang mit dem Orchester, der die Musiker auf Augenhöhe einbezog und es doch schaffte, die Einzelbeiträge schlüssig zu bündeln. Haimor stand damit für eine zeitgemäße Rolle des Dirigenten – bis hin zu der Art, wie er im Konzert nie sich selbst, sondern stets das Orchester in den Fokus rückte. Die Ära der gottgleichen Pult-Heroen, die sich regelrecht verehren lassen, ist nach zahlreichen Missbrauchsskandalen definitiv vorbei.

Haimor war also im Grunde fast eine Idealbesetzung als Chefdirigent des Reutlinger Orchesters. Von daher ist es schade, dass man keine andere Lösung gefunden hat. Man hätte ja zum Beispiel den Vertrag Haimors für diese Saison ruhen lassen können, um dann nach der Pandemie wieder mit ihm zu planen. Eine geordnete Chefdirigentensuche ist im Moment ohnehin unmöglich.

Wobei Haimors pandemiebedingter Rückzug auf ein Problem hinweist, das er doch hatte: dass sein Lebensmittelpunkt bei San Francisco rund 9 300 Kilometer von Reutlingen entfernt liegt. Greta Thunberg hat sich erst nach Haimors Amtsantritt vors schwedische Parlament gesetzt; dass es ökologisch fragwürdig ist, einen Dirigenten für wenige Konzerte von San Francisco einzufliegen, dürfte aber inzwischen klar sein. Dass eine solche Distanz auch generell Belastungen mit sich bringen kann bis hin zum Scheitern einer Zusammenarbeit, sollte man bei der Philharmonie eigentlich wissen: Haimors Vorvorgänger, der Japaner Norichika Iimori, hatte seinen Posten nicht zuletzt aufgegeben, weil ihm die enormen Reisezeiten zu viel wurden.

akr@gea.de