REUTLINGEN. In Reutlingen werde immer wieder beklagt, dass es zu wenig Events gebe, sagt Edith Koschwitz. Die Geschäftsführerin des Vereins Netzwerk Kultur Reutlingen und ihre Mitstreiter stellen fest, dass es von Mal zu Mal komplizierter wird, größere Veranstaltungen zu organisieren – der wachsenden Bürokratie und gestiegenen Sicherheitsbestimmungen wegen.
Koschwitz’ Aussage »Jetzt sind wir während der Kulturnacht auch noch für die Erdbebensicherheit der ehemaligen Paketpost zuständig« wollte Wolfgang Löffler, der Pressesprecher der Stadt Reutlingen, auf GEA-Nachfrage so nicht stehen lassen. Das zuständige Baurechtsamt habe bei der Bearbeitung der notwendigen Unterlagen – quasi fürs Protokoll – lediglich festgestellt, dass die Erdbebensicherheit des Gebäudes behördlicherseits nicht geprüft worden sei.
Wie immer man das nun interpretieren will: Das von der Deutsche Post DHL Group aufgegebene Paketpostgebäude am Hauptbahnhof ist so etwas wie das neue Herzstück im diesjährigen Kulturnacht-Programm. Und das sowohl beim Warm-up am Freitag, 20. September, als auch bei der eigentlichen Kulturnacht am Samstag, 21. September.
Stummfilm und Tanz
Mehr als 30 Künstler aus der Region zeigen dort im Zwischen- und Obergeschoss ihre Positionen, während – das gilt für den Samstag – Bands auf zwei Bühnen im Wechsel das Erdgeschoss bespielen. Am Freitag nimmt dort die Band Tristan Vox ab 19 Uhr das Publikum mit auf eine poetische Reise. Außerdem soll am Abend der Vernissage Malerei auf Stelzen und Artistik, Tanz und Puppen treffen.
Zum Vorprogramm am Freitag gehört ab 19 Uhr auch eine Zeitreise im Spitalhofsaal. Der Reutlinger Jürgen Reich erzählt dort von seiner Großtante, der in den 1920er-Jahren angesagten Filmschauspielerin Thea Rosenquist, und öffnet sein Fotoalbum. Einen passenden Stummfilm mit Rosenquist (Titel: »So fallen die Lose des Lebens«), der 1918 in Wien und Budapest entstand, gibt es im Anschluss zu sehen, am Klavier begleitet von Sascha Kommer. Ab 20.30 Uhr wird im Spitalhofsaal dann von Shirley Apple und ihrer Formation The Sweet Peas die Zeit des Stummfilms tänzerisch zum Leben erweckt.
Nach diesem Vorprogramm am Freitag wird es – die Kulturnacht wäre sonst nicht die Kulturnacht – am Samstag mit Dutzenden Veranstaltungen an 52 Orten deutlich unübersichtlicher. Bis zu 8 000 zahlende Besucher werden wieder erwartet, über 10 0000, so schätzt Koschwitz, werden, angeregt durch die Kulturnacht, insgesamt unterwegs sein.
Den Marktplatz als zentral gelegenen Ausgangspunkt für mögliche Touren sollte man sich schon mal vormerken. Dort startet um 18.15 Uhr unter dem Motto »Step by Step« der Dancewalk hinüber zur Stadthalle, die dann bis 1.30 Uhr zur Tanzhalle wird, mit Tanz zum Anschauen und zum Mitmachen. Die Tänzerin, Tanzpädagogin, Kunsthistorikerin und Rhetorikerin Ramona Mathes zieht hier im Hintergrund die Strippen. Auch orientalischer Tanz und Stepptanz sind geboten.
Der Marktplatz werde auch das kulinarische Zentrum der Kulturnacht sein, sagte Wilhelm Gessert, der diesen Teil des Festivals koordiniert. Der griechische Tanzverein Orpheas, der serbische Verein SKD Karadjordjevic, der Arabische Kulturclub, der Türkische Kultur- und Integrationsverein Reutlingen und der Verein Anadolu bereiten Speisen zu. Zum internationalen Flair auf der Straße soll zudem argentinischer Tango beitragen. Bewährtes wie die Kriminacht im Amtsgericht, die Improvisationstheater-Aufführungen in der Kreissparkasse, den Stummfilm mit Orgelmusik in der Marienkirche oder die Synchronschwimmdarbietung im Achalmbad wird es auch diesmal wieder geben. Weil es beim Kulturnacht-Special von Comedy 72 vor zwei Jahren sehr beengt zuging, treten die Comedians diesmal in der Buchhandlung Osiander auf.
Pomologie wird zum Lichtgarten
Fast alles ist vom Marktplatz aus gut zu Fuß zu erreichen. Lediglich das Studio der Württembergischen Philharmonie, wo um 19.30 Uhr eine öffentliche Probe stattfindet, und die Christuskirche, wo das Junge Ensemble Reutlingen mit Chormusik auftritt und historische Tänze dargeboten werden, sind etwas abgelegener. Die Pomologie soll zum magischen Lichtgarten werden – von den Katakomben des Lucaskellers zum Tonne-Theatergebäude bis zum Rosengarten.
Junge Bands und Musiker, unter ihnen Hannah Herrlich und Band, treten beim Reutlinger General-Anzeiger im Oertel+Spörer-Saal auf. Singer-Songwriter präsentieren sich unter anderem auch in der Citykirche, die aus der Groove-Factory der Musikschule Reutlingen hervorgegangene junge Band The Melikas ist mit Popsongs in der Volksbank am Marktplatz zu erleben. Der Reutlinger Musikproduzent mit Zweitwohnsitz in Los Angeles Jan Henning hat sich Freunde eingeladen und präsentiert auf der Bühne des franz.K. handverlesene (halb-)akustische Musik aus Reutlingen und Umgebung. »Da ist für jeden etwas dabei«, ist sich der Vorsitzende des Vereins Netzwerk Kultur Reutlingen, Gerhard Loew, mit Blick auf das Gesamtprogramm sicher. Den Anspruch, alles mitzubekommen, sollte man, um nicht enttäuscht zu werden, allerdings nicht haben. (GEA)
FESTIVALINFO
An vielen Veranstaltungsorten und den üblichen Vorverkaufsstellen sind Karten für die Reutlinger Kulturnacht erhältlich, samstags zudem am Marktplatz am Kulturnacht-Stand. Im Vorverkauf kosten die Karten elf, an der Abendkasse 15 Euro. Das gesamte Kulturnacht-Programm gibt es als Broschüre. Es findet sich zudem im Internet. (GEA)