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Freiheit in der Corona-Krise - warum Hegel wieder aktuell wird

Der Kampf gegen das Coronavirus wirft plötzlich wieder Grundsatzfragen auf, mit denen sich schon die alten Philosophen beschäftigt haben. Einer der größten von ihnen wurde vor 250 Jahren in Stuttgart geboren. Von ihm kommt ein guter Ratschlag zur Krisenbewältigung.

Eine Skulptur von Daniel Stocker aus dem Jahr 1905, die den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel darstellt, steht in Stuttg
Eine Skulptur von Daniel Stocker aus dem Jahr 1905, die den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel darstellt, steht in Stuttgart. Foto: dpa
Eine Skulptur von Daniel Stocker aus dem Jahr 1905, die den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel darstellt, steht in Stuttgart.
Foto: dpa
STUTTGART. Wie lange noch schränkt der Staat wegen der Corona-Pandemie die Freiheit seiner Bürger ein? Das fragen sich viele Menschen. Freiheit bedeutet für sie: das tun zu können, was man will. Einer der größten deutschen Philosophen sieht darin einen kapitalen Fehler. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der vor 250 Jahren, im August 1770, in Stuttgart geboren wurde und 1831 in Berlin starb, hat einen Gedanken entwickelt, der in der heutigen Krise hilfreich sein kann.

»Die Freiheit ist das Denken selbst«, lehrte Hegel. »Wer das Denken verwirft und von Freiheit spricht, weiß nicht, was er redet. (...) Der Wille ist nur als denkender frei.« Das bedeutet: Auswählen zu können zwischen vielen Möglichkeiten ist lediglich Willkür. Freiheit wird daraus erst, wenn die Vernunft den Willen bestimmt. »Der Willkür mangelt es am Denken, sie impliziert Unwissenheit«, erläutert der Jenaer Hegel-Forscher Prof. Klaus Vieweg.

Wenn der Staat also aus vernünftigen Gründen Corona-Partys verbietet, dann schränkt er Hegel zufolge keine Freiheit ein, sondern nur Willkür. Von einer Gängelung oder Repression der Bürger kann dann keine Rede sein. »Die Teilnehmer an Corona-Partys machen eben nicht ihr Recht auf freies Handeln geltend«, betont Vieweg. »Sie handeln bloß willkürlich und verstoßen fundamental gegen die Freiheit, gegen die Rechte des Menschen.«

Die verheerenden Wirkungen von Pandemien kannte Hegel zur Genüge. Als er starb, wütete in Berlin die Cholera. Trotzdem war er überzeugt: »Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.« Für keinen anderen Satz wurde er so massiv angefeindet und verleumdet, dass es heute nur noch wenige Intellektuelle gibt, die sich offen als Hegelianer zu erkennen geben.

Hat der Meisterdenker des Deutschen Idealismus mit diesem Satz jede Seuche und jedes Unrecht dieser Welt als vernünftig gerechtfertigt? Hat er alles Bestehende heiliggesprochen, auch den damaligen preußischen Polizeistaat mit dessen antidemokratischer Zensur? Hat sich ein solcher Restaurationsphilosoph, für den scheinbar der Staat alles ist und der Einzelne nicht zählt, als Ratgeber in der Corona-Krise disqualifiziert?

Dies ist ein weit verbreitetes Missverständnis, wie Vieweg in seiner gut 800 Seiten dicken Hegel-Biografie nachgewiesen hat. Denn für den Philosophen ist nicht alles »wirklich«, was existiert. Nur das Vernünftige ist die wahre Wirklichkeit, die die Welt im Innersten zusammenhält.

Hegel, der an den Universitäten in Jena, Heidelberg und Berlin lehrte, war zeit seines Lebens ein glühender Anhänger der Französischen Revolution und der liberal-republikanischen Ideale von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Aus diesem Grund war er im Visier der preußischen Zensur, die ihn misstrauisch beäugte. Um die Kontrolleure zu täuschen, streute er in seine Veröffentlichungen Formulierungen ein, die auf den ersten Blick konformistisch aussehen, tatsächlich aber beißende Kritik an den herrschenden, unvernünftigen Verhältnissen bedeuten.

Die Idee des Staates gründet für Hegel im Prinzip der selbstbewussten, individuellen Freiheit. Der Zweck des Staates besteht darin, diese Freiheit aller seiner Bürger zu garantieren. Genau dafür muss er aber aus Gründen der Vernunft die Willkür begrenzen. (dpa)