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Aktuell VOR DER PREMIERE

Das Landestheater Tübingen zeigt eine deutsche Seele in Eis

Das Landestheater Tübingen bringt Thomas Bernhards Stück »Vor dem Ruhestand« auf die Bühne

Unter den Augen von Ex-Ministerpräsident Hans Filbinger (von links): Vinzenz Hegemann (Ausstattung), Thorsten Weckherlin (Regie)
Unter den Augen von Ex-Ministerpräsident Hans Filbinger (von links): Vinzenz Hegemann (Ausstattung), Thorsten Weckherlin (Regie) und Jörg Wockenfuß (musikalische Leitung). FOTO: LTT
Unter den Augen von Ex-Ministerpräsident Hans Filbinger (von links): Vinzenz Hegemann (Ausstattung), Thorsten Weckherlin (Regie) und Jörg Wockenfuß (musikalische Leitung). FOTO: LTT

TÜBINGEN. Vor 40 Jahren sorgte Thomas Bernhard regelmäßig für Staatskrisen und Theaterskandale. Dann wurde es ruhiger um den 1989 verstorbenen Übertreibungs-Österreicher. Vielleicht ist aber gerade jetzt die Zeit, seine witzigen und hochmusikalischen Sprach- und Schimpfkunstwerke wiederzuentdecken. Am Landestheater Tübingen (LTT) hat Intendant Thorsten Weckherlin nun »Vor dem Ruhestand« ausgegraben, Bernhards bestes Stück, wie der Autor selber sagte, vor allem aber auch sein einziger offen politischer Theatertext: ein bitteres, feines Porträt von zwei anständig integrierten Altnazis. Premiere ist am Samstag, 12. April, um 19.30 Uhr in der LTT-Werkstatt.

Rudolf Höller, Ex-SS-Offizier und Lagerkommandant, tauchte nach dem Krieg zehn Jahre unter, um dann unbehelligt Gerichtspräsident zu werden; seine Schwester Vera führt ihm den Haushalt, massiert ihm die Füße und bestätigt, dass er stets alles für das Vaterland getan hat. Ab und an gönnt man sich einen Kunstgenuss, einmal im Jahr eine Geburtstagsfeier für Heinrich Himmler. Störfaktor im trauten Naziglück ist allein Schwester Klara, die »widerliche Literatur« und »diesen Zeitungsschmutz« liest, ansonsten meist angewidert schweigt.

Eine gnadenlose Familiendarstellung, die aber auch hochkomisch ist: Eine Komödie von Deutscher Seele. Weckherlin: »Weil das Gesicht des wahren Schreckens sich in der Kunst nicht so einfach enthüllen kann, hat auch Thomas Bernhard seine Nazi-Fabel ohne alles schlechte Gewissen, mit Finesse, so trivial und teutonisch erdacht, wie sonst vielleicht nur Ärzte-, Adels- oder Heimatromane erzählt werden. Mit Schicksalsversehrten und (vermeintlich) unschuldig Verfolgten, voller Geschwisterliebe, Naturromantik und Vergangenheitssehnsucht – voll kalkulierter Klischees und Kolportageeffekte. Komödie, Klamotte von deutscher Seele und ihrem Mythos. Fast Trivialliteratur.«

Bernhard schrieb »Vor dem Ruhestand« in Reaktion auf die Berichte über die Nazi-Vergangenheit des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger, der als Marinerichter noch von 1943 bis 1945 Todesurteile unterzeichnete. Trotzdem bleibt das Stück keine reine Geschichtsstunde. Ganz im Gegenteil. »Man kann ›Vor dem Ruhestand‹ auch als eine Art ›Warten auf Godot‹ verstehen«, so der Regisseur. »Rudolph Höller wartet nicht auf die Rückkehr eines mysteriösen vagen Bekannten, sondern darauf, endlich wieder ganz offen Heinrich Himmlers Geburtstag feiern zu können. Vielleicht sind wir ja heute schon wieder etwas näher dran an diesem Augenblick, wenn Tech-Milliardäre wieder auf offener Bühne den römischen Gruß machen.«

Fortwirkende Mechanismen

Vor diesem Hintergrund seziert Bernhard sprachgewaltig die bis heute fortwirkenden Mechanismen des Nationalsozialismus. Der historische Horror gerinnt dabei im sentimentalen Geschwätz. »Die Sprache Bernhards kommt wie eine Alltagssprache daher, ist aber keine«, so Weckherlin. »Es ist eine Kunstsprache, der man ein Nest bereiten muss. Die Verführung, mit seiner Sprache schnoddrig umzugehen, ist da und die absolute Gefahr! Wenn man das tut, dann hat man bei Thomas Bernhard verloren. Da muss geistige Klarheit herrschen, weil es kein Naturalismus, sondern Bernhardscher Realismus ist, den ich noch in keinem anderen Theaterstück erlebt habe. Unsere drei Schauspielerinnen und Schauspieler müssen ganz klar im Kopf sein, um diese Sätze abzuschießen wie Waffen!« Selbstmitleid, Untergangsfantasien, Größenwahn, Schicksalsgläubigkeit und immer wieder der blanke Antisemitismus brechen sich in den Tiraden seiner Figuren Bahn, aber das Stück bleibt eine Nazi-Komödie, eine umgedrehte Tragödie. Weckherlin: »Bei all der Kälte, mit der unsere Protagonisten aber gleichzeitig auch immer ihre eigene bürgerliche Fassade hochhalten und die eigene Schuld verdrängen, wäre mein Untertitel vielleicht auch: ›Eine deutsche Seele in Eis‹ oder ›Schuld und Bühne‹.«

Es spielen: Andreas Guglielmetti, Katja Uffelmann und Susanne Weckerle. Bühne und Kostüme: Vinzenz Hegemann, musikalische Leitung: Jörg Wockenfuß, Dramaturgie: Tom Gipfel. Weitere Vorstellungen: 12., 13. April, 31. Mai. (eg)

 

www.landestheater-tuebingen.de

 

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