TÜBINGEN. Mit einer Podiumsdiskussion am Donnerstag in der Tübinger Stadtbücherei eröffneten die »Aktion Sahnehäubchen« und der Fachbereich Soziales der Stadt Tübingen die Ausstellung »Corona & Ich«: Kinder und Jugendliche stellen Bilder aus, in denen sie darstellten, wie sie die Pandemie erlebten. Die Ausstellung ist noch annähernd zwei Monate, bis zum Freitag, 27. Mai, zu sehen.
In über 100 Gemälden, Filmen und Skulpturen gaben Kinder und Jugendliche aus dem Landkreis Tübingen ihrer Lage während der Corona-Pandemie Ausdruck. Die Werke werden in Tübingen in der Stadtbibliothek, im Café Sozial in der Derendinger Straße sowie vielen Schaufenstern der Altstadt zu sehen sein. Zum Ausstellungsauftakt in der Stadtbücherei kamen rund 40 Personen.
Tübingens Sozialbürgermeisterin Daniela Harsch dankte den Angestellten der Verwaltung: Sie hätten alles dafür getan, um die Pandemie-Situation in der Stadt für alle möglichst erträglich zu gestalten. Sie erinnerte an Maßnahmen, die für Kitas und Schulen erfunden werden mussten, um die Öffnungen zu ermöglichen.
»Bis 48 Stunden vorher war es unvorstellbar, das Schüler daheim bleiben«
So wurden etwa Formulare entworfen, damit Familien mit drei Kindern in der ersten Pandemie-Welle mehr Nudeln und Klopapier kaufen konnten. Mitarbeiter des Jugendamts wurden abgestellt, um Kinder auf Spielplätzen zu zählen, dass sich nicht zu viele in der gesetzlich verpflichtenden Beschränkung pro Quadratmeter aufhielten.
Während der Pandemie sah sich auch die Caritas Schwarzwald-Gäu gefordert, die mit der »Aktion Sahnehäubchen« finanzschwache Kinder und Jugendliche fördert, die im Landkreis Tübingen ihren Wohnsitz haben. Caritas-Mitarbeiterin Fabienne Christen moderierte die anschließende Diskussion, die sich vor allem um die Anfangszeit der Pandemie drehte.
Mit Fabienne Christen auf dem Podium saßen Martin Schall, Rektor der Geschwister-Scholl-Schule, der Kinder- und Jugendpsychiater Gottfried Barth sowie zwei elfjährige Schüler, Kaan Atvur und David Truncali.
Die beiden jungen Nehrener qualifizierten sich als Diskutanten durch einen kurzen, sehr lustigen Film über die Wirkung der Schutzmaske. Darin wiesen sie nach, dass der Geruch von Lachs nicht durchdringt: »Man riecht gar nichts!« Negativ: Mit Maske werde ihm schlecht, schwindelig, er bekomme Bauchweh, sagte Kaan. David ergänzte, er bekomme Kopfschmerzen und: »Man hört einander nicht.«
Der erste Tag der Pandemie sei surreal gewesen, erinnerte sich Martin Schall: »Bis 48 Stunden vorher war es unvorstellbar, dass Schüler daheim bleiben.« Schüler hätten gefragt, ob er nun auch Corona-Ferien habe. Als sehr herausfordernd, gerade zu Beginn, habe sich die Kommunikation mit dem Lehrkörper und den rund 1 500 Schülern erwiesen.
Schall sagte, die Schule an sich sei nicht darauf vorbereitet gewesen, Material zum Lernen zu Hause aus dem Boden zu stampfen. Hier gab es mit der Technik Probleme, dort waren Schülerinnen und Schüler völlig unterschiedlich mit Endgeräten ausgestattet. Es war anfangs nicht möglich zu kontrollieren, ob jemand am anderen Ende an einer Telekonferenz teilnimmt, oder nicht.
Laut Schall hinterließ Homeschooling unterschiedliche Spuren: »Manche lernten mehr, weil sie nicht durch langsame Lehrer gebremst wurden.« In bestimmten Fächern, etwa den Sprachen, wurden später größere Lernlücken festgestellt als in anderen. Das größere Problem sei jedoch der emotionale Bereich gewesen, das psycho-soziale Lernen untereinander.
Kaan bekräftigte, dass die Konferenzen halfen, sich als Teil einer Klasse zu fühlen: »Danach durften wir immer noch mit unseren Mitschülern quatschen. Das war toll!«
Dennoch sprachen er und David auch von der Isolation, der sie mit Videospielen oder sportlichen Aktivitäten entgegenzuwirken versuchten. David, der beim SV Nehren kickt, stellte später jedoch fest, dass seine Kondition deutlich nachgelassen hatte.
»Die Familien haben besser funktioniert, als wir erwartet haben«
»Die Familien haben besser funktioniert, als wir erwartet haben«, stellte Gottfried Barth fest. In den ersten sechs Wochen sei die Notaufnahme der Tübinger Kinder- und Jugendpsychiatrie, deren stellvertretender Leiter er ist, bis auf zwei Patienten leer gewesen. »Irgendwann ging der normale Wahnsinn weiter.« Genauer gesagt: Anfang Oktober 2020, knapp einen Monat vor Beginn des zweiten Lockdowns. Da schnellten die Zahlen explosionsartig hoch.
Vor allem ältere Jugendliche und junge Studenten waren betroffen. Es waren so viele, dass die Betten nicht mehr ausreichten und manche auf Matratzen im Gang übernachten mussten. Barths Fazit: »Es hätte vielen gut getan, wenn die Schlagzahl in der Gesellschaft vorübergehend runtergegangen wäre.« (mac)